Das hätte wohl niemand gedacht: Als Anfang August 1995 die erste
Gruselführung durch die nächtlichen Straßen zog, sollte es eigentlich eine
einmalige Veranstaltung für die Teilnehmer einer internationalen Jugendbegegnung
des Stadtjugendrings sein. Doch die Resonanz war so gut, dass man sich zu einer
Fortsetzung entschloss - in diesem Jahr feiert „Dr. Frankensteins Mystery Tour“
nun ihren 20. Geburtstag.
Es ist die Nacht, die Frankenstein wieder zum
Leben erweckt. Auch 199 Jahre nach seiner literarischen Geburt spuken der
Gruseldoktor und seine Kreatur noch immer durch Ingolstadt. Bei der „Mystery
Tour“ erlebt man den Mythos von der heiter-gruseligen Seite, fernab von den
ernsten Themen des Romans, die Literaturwissenschaftler, Medizinhistoriker und
Philosophen beschäftigen. Der Frankenstein der „Mystery Tour“ ist beseelt vom
schwarzen Humor der Briten, gefärbt von Mel Brooks „Frankenstein junior“ und
inspiriert von Geistern, Grusel und Klamauk.
Wenn die Schatten länger
werden und die Dunkelheit hereinbricht, wirft Dr. Frankenstein seinen weiten
Mantel um und lädt Unentwegte zu einem Spaziergang durch die dunkle
Vergangenheit Ingolstadts ein. Historisches und Histörchen aus der Geschichte,
dunkle Gesellen und geheimnisvolle Wesen säumen den Weg von Deutschlands erster
und langer Zeit einziger Stadtführung dieser Art. Seit zwanzig Jahren erleben
Touristen und Einheimische im flackernden Licht einer Fackel diese abendlichen
Spaziergänge.
Entstanden ist die „Mystery Tour“ 1995, als man auf der
Suche war nach einer unterhaltsamen Abendveranstaltung für Jugendliche aus den
Partnerstädten. Bald nachdem die Idee zu der Gruselstadtführung geboren wurde,
war klar: Nur eine einzige Persönlichkeit kann die Geister und Legenden
bändigen, nur einer kann die Reise zu den dunklen Ecken Ingolstadts anführen.
Eben jener Dr. Frankenstein, der als Student der Anatomie in der Stadt gewirkt
hat, der hier Leichenteile von den Friedhöfen und aus den Gebeinhäusern
zusammengetragen hat, um daraus seine Kreatur zu erschaffen. Er und seine
düstere Geschichte schaffen den Rahmen für die „Mystery Tour“.
Auch wenn
sich die Tour nicht ausschließlich mit ihm beschäftigt, so bilden die Ereignisse
um den wohl „berühmtesten Studenten“ der Stadtgeschichte eine wichtige Klammer:
Um seinen Gehilfe Igor, der als Faktotum für die Sauberkeit des Laboratoriums
sorgt, Leichenteile von zweifelhafter Herkunft beschafft oder die Kreatur zu
bändigen weiß, um den Gruseldoktor selbst, der von langen Stunden über Büchern
und geöffneten Leichen berichtet und nicht zuletzt um das Monster, das, in einer
zugegeben sehr freien Adaption, am Ende der Tour erscheint. Dazwischen bietet
die Handlung weiten Raum für Sagen und Legenden, für Berichte über
Hinrichtungen, Geistermönche und andere dunkle Episoden der Stadtgeschichte.
Mit all den finsteren Gesellen und Geistern, die sich in den Weg stellen,
aus dunklen Ecken schreiend durch die Gruppe brechen und sich arglose Opfer
suchen, ist die „Mystery Tour“ eher ein episodenhaftes Straßentheater als eine
Stadtführung. Die Tour lebt von der Spontaneität von Besuchern und
Schauspielern, von Absurditäten und grotesken Situationen. Eines ist sie auf
jeden Fall: Grauenvoll unterhaltsam. Rund 60.000 Besucher haben sie in den
zurückliegenden Jahren besucht. Ingolstädter, Gäste aus ganz Bayern und
Touristen von überall her.
Und so hat Ingolstadt allen Grund der Autorin
des Romans, Mary Shelley, zutiefst dankbar zu sein. Sie war es, die 1816 die
Geschichte ersonnen hat, die weite Teile des Romans in Ingolstadt spielen ließ
und so den „Mythos Frankenstein“ fest mit der Stadt verbunden hat.
Dieses
Alleinstellungsmerkmal ist heute wichtiges touristisches Kapital, das immer
wieder die Aufmerksamkeit auf Ingolstadt lenkt – auch international. Ob die BBC,
das weltweit ausgestrahlte Programm der Dokumentationsreihe „Lonely Planet“ oder
der „History Channel“ aus den USA: Frankenstein ist immer wieder ein beliebtes
Motiv für TV-Dokumentationen. Und wenn ein Millionenpublikum etwa zu Halloween
gebannt vor amerikanischen Fernsehgeräten die filmische Spurensuche zu den
Hintergründen des Romans verfolgt, darf ein Besuch in der „Frankenstein-Stadt“
Ingolstadt, im Deutschen Medizinhistorischen Museum und bei der „Mystery Tour“
nicht fehlen.
„Dr. Frankensteins Mystery Tour“ ist von Mai bis Oktober bei
öffentlichen Führungen zu erleben, ganzjährig können Gruppen Sonderführungen
buchen.