Leid hinter verschlossenen Türen


(ir) Seit einem halben Jahr berät Caritasmitarbeiterin Gisela Hirsch in Interventionsstelle geschlagene und gedemütigte Frauen.

„Es ist bedrückend mitzubekommen, dass es so viel Gewalt und Leid hinter verschlossenen Türen bei uns gibt. Doch ich erfahre es als eine sehr sinnerfüllende Tätigkeit, Frauen zu unterstützen, einen Ausweg aus ihrer Notsituation zu finden.“ Mit diesen Worten bringt Gisela Hirsch ihre wesentlichen Erfahrungen auf den Punkt, die sie seit gut einem halben Jahr als Inhaberin der Interventionsstelle für Frauen bei häuslicher Gewalt macht, die bei der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt angesiedelt ist. Knapp 50 Betroffene hat die Sozialpädagogin seit März beraten.


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Ihre Stelle im Umfang von 17 Wochenstunden ist eine von 24 Interventionsstellen in Bayern, für die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege die Arbeit übernommen haben. Die Ingolstädter Caritasmitarbeiterin berät Frauen in der ganzen Region 10, also in der Stadt Ingolstadt sowie in den Landkreisen Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen. Finanziert wird die Arbeit zum größten Teil vom Freistaat Bayern, teilweise auch von den Kommunen und durch einen Eigenanteil der Caritas. In der Regel erhält die Caritasmitarbeiterin von der Polizei – mit Zustimmung der betroffenen Frau – ein Fax, in dem grob die häusliche Gewaltproblematik beschrieben und die Telefonnummer der Person angegeben ist. Diese ruft Gisela Hirsch innerhalb von drei Werktagen an. „Die Frauen müssen also nicht auf mich zukommen, was vielen aufgrund von Scham, Schüchternheit und falschen Schuldgefühlen schwerfallen würde, sondern ich übernehme die Initiative“, erklärt die Caritasmitarbeiterin den aus ihrer Sicht wichtigen Charakter der „pro-aktiven Beratung“. Dann führt sie mit den Betroffenen bis zu fünf Beratungsgespräche. Etwa ein Drittel der Frauen kommt zu ihr in die Caritas-Kreisstelle, zwei Drittel der Beratungen finden am Telefon statt: „zum einen, weil viele kein Auto haben, um auch aus entlegenen Gebieten der Landkreise anzureisen, zum anderen, weil viele sich nicht direkt zeigen wollen“, weiß die Sozialpädagogin.

Gisela Hirsch hilft den Frauen vor allem rechtlich und psychosozial. Rechtlich unterstützt sie die Betroffenen dabei, Regelungen des Gewaltschutzgesetzes durchzusetzen: „Dafür empfehle ich ihnen zum Beispiel, den erforderlichen Antrag zusammen mit einem Anwalt bei Gericht zu stellen. In Ausnahmefällen unterstütze ich sie dabei, dies auch selbst zu tun und begleite sie auch zum Gericht.“ In der Regel erhält der die Frau verletzende Partner einen polizeilichen Platzverweis, sodass er die gemeinsame Wohnung bis zu zehn Tagen nicht betreten darf. „Dieser kann auch zu einem gerichtlich angeordneten Kontaktverbot erweitert werden. Dann darf sich der Täter bis auf eine bestimmte Distanz nicht der Frau nähern – und auch telefonisch oder anders nicht mit ihr in Verbindung treten. Auch kann der Frau die gemeinsame partnerschaftliche Wohnung für längere Zeit zugewiesen werden “, nennt sie rechtliche Möglichkeiten, um die Frauen zu schützen. Sozialpädagogisch hilft Gisela Hirsch vor allem dadurch, dass sie mit ihnen einen „Notfallplan“ bespricht. Dabei macht sie die Betroffenen zum einen auf ganz praktische Dinge aufmerksam: „etwa darauf, dass sie immer ihr Handy bei sich haben sollen und der Akku aufgeladen ist“. Weitergehende Tipps sind, sich für ein unabhängiges Leben ein eigenes Konto zuzulegen und die Kinder darauf vorzubereiten, „dass sie zum Beispiel schnell zu den Nachbarn oder Freunden laufen, wenn der Papa ausrastet“. Doch auch Trost zu spenden, wenn eine Frau beim Erzählen in Tränen ausbricht, gehört zu den Aufgaben der Caritasmitarbeiterin.

Die häusliche Gewalt, die die Frauen erleben mussten, ist vielfältig: „Etliche sind geschlagen, gewürgt oder vergewaltigt worden, doch nicht weniger schlimm sind für viele die Demütigungen, die sie erfahren mussten, indem sie beschimpft, kontrolliert, unterdrückt und für verrückt erklärt wurden“, erzählt Gisela Hirsch und ergänzt: „Es gibt auch Männer, die ihre Frauen regelrecht einsperren.“ Grundziel ihrer Sozialarbeit ist, „die körperliche und psychische Gesundheit der Frauen wiederherzustellen“. Dabei kommt ihr entgegen, dass sie Betroffene in weitergehende Hilfen vermitteln kann, die zum Teil direkt zur Caritas-Kreisstelle gehören: zum Beispiel zur Beratungsstelle für psychische Gesundheit oder zur Caritas-Suchtambulanz, wenn Alkohol ein Problem ist. Auch Überweisungen an die Ehe- und Familienberatung sowie die Erziehungsberatung – um dadurch insbesondere den betroffenen Kindern zu helfen – gehören dazu. Und einige Frauen hat Gisela Hirsch auch schon ans Ingolstädter Caritas-Frauenhaus vermittelt, mit dem sie eng zusammenarbeitet und von dem sie auch im Urlaub vertreten wird. „Ich verstehe mich als aktive Mittlerin zwischen Polizei und Fachberatungsstellen sowie sozialen Einrichtungen“, fasst sie ihre Aufgabe zusammen.


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Vielen der von ihr beratenen knapp 50 Frauen hat Gisela Hirsch so bereits Auswege aus ihrer Gewalt- und Notsituation ebnen können. Natürlich sei die Beratung häufig auch schwierig, zum Beispiel bei Frauen in Asylunterkünften: „Hier ist unter anderem natürlich die Sprache ein Problem, wenngleich wir das zum Teil schon durch die Zusammenarbeit mit Dolmetschern bei Telefonkonferenzen gelöst haben.“ Gisela Hirsch gibt auch zu, dass sie sich manchmal ratlos fühlt: zum Beispiel bei Opfern durch Stalking, die permanent vom Ex-Partner durch Telefonanrufe oder WhatsApp-Nachrichten belästigt, auf dem Weg zur Arbeit verfolgt oder beim Arbeitgeber sowie im Freundeskreis bloßgestellt werden. „Die Polizei kann hier erst einschreiten, wenn etwas passiert ist“, schildert sie ein Grundproblem für diese Frauen, die etwa ein Fünftel der bei ihr Ratsuchenden ausmachen. Doch durch praktische Tipps konnte sie auch diesen schon in Ansätzen helfen: „Wenn sich eine Frau zum Beispiel eine neue Handynummer zulegt und Nachbarn bittet, immer mal wieder ihre Umgebung zu beobachten, kann dies bewirken, dass sie zumindest vorübergehend Ruhe findet“, weiß die Caritasmitarbeiterin aus bisher gemachten Erfahrungen.

Zu ihren positiven Erfahrungen nach einem halben Jahr zählt sie die „gute Zusammenarbeit mit den sieben Polizeidienststellen in der Region 10“. Sie bedauert hingegen, „dass die öffentliche Finanzierung der Interventionsstelle für das kommende Jahr noch nicht gesichert ist, damit ich die Arbeit für die von Gewalt betroffenen Frauen fortsetzen kann“.

Das Foto zeigt Caritasmitarbeiterin Gisela Hirsch, die in einem halben Jahr bereits fast 50 Frauen beraten hat, die häusliche Gewalt erleiden mussten.

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