Wenn der Arzt selbst Patient wird



Versorgung eines Unfallopfers im Klinikum Ingolstadt.

(ir) Ein Motorradfahrer findet dank der schnellen Versorgung im Überregionalen Traumazentrum nach einem schlimmen Unfall wieder zurück ins Leben. Die Erfahrung der ärztlichen und pflegerischen Teams im Klinikum Ingolstadt mit Schwerstverletzten nutzt auch Patienten bei planbaren Eingriffen.



Rund vier Wochen hat Dr. Rainer Schmottermeyer auf der Intensivstation im Klinikum Ingolstadt zugebracht. Ein Autofahrer hatte ihm zwischen Treuchtlingen und Gunzenhausen die Vorfahrt genommen. Schmottermeyer versuchte mit seinem Motorrad noch auszuweichen und kollidierte bei Tempo 90 mit dem Wagen, wie er nachträglich aus dem Unfallgutachten erfuhr. Seine Verletzungen waren damals so schwer, dass erst in den letzten Tagen seines Aufenthalts im Klinikum die Erinnerung wieder einsetzt.



Mit einer Schädelfraktur, zertrümmertem Becken, verdrehten Füßen, Brüchen aller Rippen und starken, nur schwer stillbaren Blutungen brachte der Rettungsdienst den Verletzten ins Überregionale Traumazentrum des Klinikums. Polytrauma nennen die Mediziner Verletzungen, die bereits für sich oder in der Kombination lebensbedrohlich sind – wie bei Schmottermeyer. „Im Klinikum Ingolstadt sitzen meine Lebensretter. Die Versorgung dort ist optimal gelaufen“, blickt er heute zurück. Als Arzt muss er es wissen: Der 59-Jährige ist niedergelassener Neurologe in Ansbach.



Mit dem Motorrad war knapp ein Fünftel der rund 150 Schwerstverletzten unterwegs, die 2020 im Überregionalen Traumazentrum am Klinikum Ingolstadt behandelt wurden. Der Anteil der Autofahrer liegt bei 25 Prozent, Fahrradunfälle machen 16 Prozent der Polytraumen in Ingolstadt aus, Stürze aus einer Höhe von über drei Metern sind in 18 Prozent der Fälle die Ursache für die schweren Verletzungen.



Überregionale Traumazentren wie am Klinikum Ingolstadt müssen Tag und Nacht aufnahmebereit sein und unter Umständen auch zwei Schwerstverletzte gleichzeitig behandeln können. Erst vor kurzem wurde das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie unter Leitung von Prof. Michael Wenzl wieder für drei Jahre zertifiziert. „Die Versorgung von schwerstverletzten Unfallopfern ist eine unserer anspruchsvollsten Aufgaben. Traumazentren der höchsten Versorgungsstufe wie bei uns bieten mit ihrer strukturierten Notfallversorgung die besten Überlebenschancen für die Patientinnen und Patienten“, erklärt Dr. Andreas Tiete, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer Medizin, Pflege und Informationstechnologie.



„Neben dem Universitätsklinikum rechts der Isar in München sind wir im Traumanetzwerk für das nördliche Oberbayern zuständig. Wir übernehmen damit Verantwortung für die medizinische Versorgung auch über die engere Region hinaus“, sagt Jochen Bocklet, Geschäftsführer Finanzen und Infrastruktur, Personal und Berufsbildungszentrum Gesundheit.



Für die erfolgreiche Behandlung schwerverletzter Patienten müssen viele Fachdisziplinen eng zusammenarbeiten und die Abläufe der Erstbehandlung und Diagnostik im sogenannten Schockraum der Notaufnahme eingespielt sein. Das Schockraumteam besteht aus acht bis zehn Personen: mindestens jeweils ein Facharzt für die verschiedenen Disziplinen Unfallchirurgie, Anästhesie, Radiologie, Neurochirurgie und Bauchchirurgie sowie Pflegekräften und medizinisch-technischen Radiologieassistenten.



Technisch ist das Klinikum Ingolstadt bestens für Polytraumen gerüstet. Ein spezieller Computertomograph und ein eigens entwickeltes Transportsystem ermöglichen innerhalb von Minuten Bilder des gesamten Körpers (sogenannte Polytraumaspirale). Das System spart viel Zeit und garantiert, dass ein Patient von der Rettungsliege aus dem Notarztwagen nur noch einmal auf eine spezielle Carbonplatte umgelagert werden muss, bevor sie auf den OP-Tisch oder in das Intensivbett gebracht wird. Der Zeitraum vom Eintreffen im Klinikum über die komplette Diagnostik und Erstbehandlung bis zur Verlegung beträgt durchschnittlich nur 37 Minuten. Hier zählt jede Minute für die Überlebenschancen.



Nach der ersten – in der Regel operativen Stabilisierung der Patienten – schließt sich die nächste entscheidende Behandlungsphase auf den anästhesiologischen Intensivstationen an. Auch dort wird eine intensive Zusammenarbeit zwischen der für die Intensivstationen verantwortlichen Anästhesie und der Unfallchirurgie gepflegt. Davon profitiert gerade ein schwerstverletzter Patient wie Dr. Schmottermeyer besonders.



Das Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Ingolstadt ist nicht nur als Überregionales Traumazentrum zertifiziert, sondern auch für das Schwerstverletztenartenverfahren der Berufsgenossenschaften anerkannt. Diese Einstufungen sind an zahlreiche personelle und apparative Qualitätsnachweise gebunden und werden erst nach aufwendiger Prüfung erteilt. „Kliniken, die regelmäßig Polytraumen behandeln, besitzen automatisch große Erfahrung nicht nur in der Behandlung aller Arten schwerster Verletzungen, sondern auch in der Behandlung von Unfallfolgezuständen. Von dieser Expertise profitieren natürlich auch alle Patienten, die sich planbaren Eingriffen aus dem Gebiet der Orthopädie und der Unfallchirurgie unterziehen müssen“, berichtet Prof. Michael Wenzl, Direktor des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie.



Für Schmottermeyer ist auch nach anderthalb Jahren der Weg zurück ins Leben noch nicht zu Ende. „Ich lag ein halbes Jahr nur im Bett“, berichtet er, „und habe es mir so gewünscht, wenigstens in der Wohnung umherzulaufen und wieder selbständig auf die Toilette gehen zu können. Schon jetzt habe ich mehr erreicht, als ich mir damals in den kühnsten Träumen vorgestellt habe.“ Geholfen haben ihm dabei mehrere Monate in einer Spezialklinik für Querschnittsgelähmte. Vier Monate lang hatte er kein Gefühl im rechten Bein. Erst langsam wird es besser. Schmerzen im Sitzen sind ihm geblieben.



Der Arzt geht heute ohne Krücken ins Fitnessstudio und läuft mit Walkingstöcken eine halbe Stunde durch die Stadt. Er trainiert fünf Mal die Woche, schwimmt regelmäßig. Er hofft: „Nerven können sich bis zu zwei Jahre nach dem Unfall noch regenerieren, der Muskelaufbau ist sogar noch länger möglich.“