(ir) Kerstin und Harry Welker absolvierten mit über 50 eine
Ausbildung - und fanden ihr Glück: beruflich und privat.
„Machen wir uns mal nichts vor: Die Chancen auf einen guten Arbeitsplatz sind
mit über 50 nicht sonderlich berauschend. Für uns war das Angebot der Deutschen
Bahn ein Glück und wir sind froh, dass es geklappt hat!“ Kerstin und Harry
Welker wissen, wovon sie sprechen. Beide waren arbeitslos, als sie sich im
Spätsommer 2014 entschieden, mit über 50 Jahren eine Ausbildung zum sogenannten
„Kundenbetreuer im Nahverkehr mit betrieblichen Aufgaben“ - landläufig auch als
Schaffner oder Zugbegleiter bekannt - zu beginnen. Heute sind die beiden nicht
nur stolz, es geschafft, sondern auch glücklich, es gewagt zu haben.
Harry Welker, Jahrgang 1963,
ist ein waschechter Pfaffenhofener. Nach der Ausbildung zum
Einzelhandelskaufmann bei Karstadt in München zog es ihn zur Bundeswehr, ehe er
vorwiegend in der Logistik und als Druckvorlagenhersteller seinen
Lebensunterhalt verdiente. Ende Mai 2014 erhielt er überraschend von seinem
Arbeitgeber die Kündigung und meldete sich gezwungenermaßen arbeitslos.
Seine
Gattin Kerstin, Jahrgang 1964, wuchs in der Nähe von Cottbus auf und absolvierte
eine Lehre zur Industrienäherin, qualifizierte sich später zur
Elektronikfacharbeiterin und schulte nach der Wende zur Bürokauffrau um. Fast
Tag genau an ihrem 50. Geburtstag wurde sie gekündigt. „Ich suchte wieder eine
Stelle im Büro und bewarb mich fortan auch ausschließlich auf derartige Stellen.
Meine Arbeitsvermittlerin versuchte jedoch, meinen Augenmerk auch auf andere
Bereiche zu lenken.“
Ganz persönlicher Sechser im Lotto
Die Welkers lernten sich über das Internet kennen, sind seit November 2004
zusammen und heirateten schließlich am 8.8.2008. „Meine Frau ist für mich mein
ganz persönlicher Sechser im Lotto. Wenn ich sie nicht hätte, müsste ich sie
glatt erfinden“, schwärmt Gatte Harry von seiner besseren Hälfte.
Auf die Idee,
sich für eine Ausbildung zum Kundenbetreuer im Nahverkehr bei der Bahn zu
bewerben, brachte die beiden ihre Vermittlerin der Ingolstädter Arbeitsagentur,
die sich speziell um Arbeitslose über 50 Jahre kümmert: „Sie erfuhr von der bei
der Deutschen Bahn beschäftigten Mutter einer Klassenkameradin ihrer Tochter,
dass dort dringend Zugbegleiter gesucht werden und hat gleich an uns gedacht“,
erinnerst sich Kerstin Welker.
Vorstellungsgespräch am
Hochzeitstag
Danach ging alles rasend schnell: „Bereits zweieinhalb
Stunden, nachdem unsere Bewerbungsunterlagen an die Personalabteilung der DB
Region AG München gemailt waren, erhielten wir von dort einen Anruf und die
Einladung für ein Vorstellungsgespräch am 8. August – unserem Hochzeitstag. Das
konnte nur ein gutes Omen sein“ wusste sie sofort.
Und so war es dann auch: Am 1.
Oktober 2014 starteten die beiden dann in das „neue spannende Abenteuer.“ Erst
einmal hieß es, das Lernen wieder zu lernen. „Mit über 50 Jahren saßen wir nun
da, haben Hausaufgaben gemacht, Skripte vor Lernzielkontrollen ausgearbeitet,
uns gegenseitig abgefragt und vor Prüfungen so richtig gebibbert“, hat Kerstin
Welker diese Zeit nicht vergessen. Nach der Integration in den Klassenverbund –
zwischen 19 und 51 Jahren war alles vertreten – stellte der
betrieblich-technische Teil der Ausbildung die größte Herausforderung für beide
dar: „Brems- und Türsysteme, Störungsbehebungen bei Türen, Toiletten, Heizung,
Sicherheit der Fahrgäste und des Zuges, Signale, Rangieren, Weichenstellungen –
es war schon heftig, was wir in kurzer Zeit in unserer Köpfe bekommen mussten.
Besteh oder geh‘ hieß es bei diesen Prüfungen, da war der Druck schon enorm“,
resümiert das sympathische Zugbegleiter-Duo. „Wer da nicht den notwendigen
Ehrgeiz und Willen mitbringt, es zu schaffen, der bleibt im wahrsten Sinne des
Wortes auf der Strecke.“
Heute sind beide stolz, es geschafft zu haben:
„Vor allem, weil wir es uns hart erarbeitet haben.“ „Ehrfurchtsvoll“ sei der
Moment gewesen, in dem sie erstmals die Bahnuniform getragen habe, gesteht
Kerstin Welker.
„Die Bahn ist tatsächlich eine große Familie“, bestätigt
Harry Welker. Anfangs sei er auch skeptisch gewesen, wenn dies behauptet wurde.
„Heute kann ich das nur bestätigen. Die Kollegen geben Motivation und
Unterstützung, Ratschläge und manchmal auch Geheimtipps“, schmunzelt er.
Zusammen mit seiner Gattin ist er im Regio-Verkehr auf der Strecke
München-Nürnberg zu Hause und erleben dabei viel Positives: „Es sind die kleinen
und großen Zwischenmenschlichkeiten, die wir mit unseren Fahrgästen haben und
die sie mit uns teilen“, versichern beide.
Besonders in Erinnerung ist
Kerstin Welker eine Begegnung geblieben, die sie während einer Streikphase
erlebte: „Eine Reisegruppe, die sich als Kirchenchor offenbarte, sang mir
spontan ein Ständchen, weil auch durch meinen Einsatz dieser Zug fahren würde“,
erzählt sie lächelnd.
„Bahn frei!“ für solche Zugbegleiter kann man da
nur festhalten. Es gibt eben tatsächlich keine alten und jungen Beschäftigte,
sondern nur gute und schlechte.