„Praxisforschung“ im DMM


 
Geduldet, aber ohne Lizenz: Ein Laienheiler im Kanton Thurgau zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

(ir) Am Mittwoch, 1. Februar um 19:00 Uhr sprechen Professor Iris Ritzmann aus Zürich und Dr. Alois Unterkircher aus Ingolstadt im Begleitprogramm zur Sonderausstellung „Praxiswelten“ über ihre Forschungen zur Praxis des Schweizer Laienheilers Gottfried Wachter.
Der Vortrag dauert zirka eine Stunde. Der Eintritt ist frei.



Bis in das 20. Jahrhundert waren Laienheilerinnen und Laienheiler wichtige Anbieter auf dem Markt medizinischer Dienstleistungen - allen Tendenzen zur Akademisierung und Verwissenschaftlichung der Medizin zum Trotz. Allerdings hinterließen sie kaum schriftliche Quellen. Deshalb wissen wir nur sehr wenig über die konkreten Wissensbestände, über die unmittelbar angewandten therapeutischen Praktiken oder über die Sozialstruktur ihrer Patientinnen und Patienten.

Bei welchen Beschwerden wurden die Dienste dieser Heilpersonen überhaupt in Anspruch genommen? Waren sie die erste Anlaufstelle oder die letztmögliche Wahl? Standen sie mit ihren Therapien und Medikationen tatsächlich in Konkurrenz zu den medizinischen Angeboten akademischer Ärzten und Wundärzte, wie immer wieder zu lesen steht. Inwiefern können zu Beginn des 19. Jahrhunderts derartige Behandlungsmethoden als „alternativ“, im Vergleich zu jenen akademischer Ärzte, bezeichnet werden?

Diese und andere Fragen standen am Anfang des Forschungsprojektes, das Ritzmann und Unterkircher bei ihrem gemeinsamen Vortrag vorstellen. Die überlieferten „Krankenjournale“ des Thurgauer Heilers Gottfried Wachter (1776 -1861) sind als seltener Quellenfund ein Glücksfall für die Forschung. Sie bildeten die Basis für das zwischen 2009 und 2013 an der Universität Zürich angesiedelte Projekt, das einigen Fragen zur Tätigkeit nicht formal ausgebildeter Heiler genauer nachgehen konnte. Der Vortrag will einen kleinen Einblick in diese Forschungsarbeit geben, Tücken der Quelle benennen, aber auch konkrete Ergebnisse vorstellen.



Zu den Referenten:
Prof. Dr. Iris Ritzmann hat sowohl Medizin wie auch Geschichte studiert. Sie war danach über 20 Jahre an der Universität Zürich und vier Jahre am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart tätig. Ihre Habilitation verfasste sie zum Thema Kinderheilkunde im 18. Jahrhundert und hält seit 1993 als Lehrbeauftragte der Medizinischen Fakultät Zürich Vorlesungen innerhalb der Medizinerausbildung. Ihre sonstigen Forschungsbereiche umfassen den Medizinmarkt der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert, der ärztliche Umgang mit Minderheiten, Veränderungen von Normvorstellungen und aktuell die Biografie eines remigrierten jüdischen Arztes. 2016 hat sie das neu eröffnete Museum für medizinhistorische Bücher Muri (mmbm.ch) konzipiert.

Dr. Alois Unterkircher studierte Europäischen Ethnologie/Volkskunde, Germanistik und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck. Hier promovierte er auch zu einem Thema aus der geschlechterspezifischen Medizingeschichte. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter arbeitete er viele Jahre an den Universitäten Innsbruck und Zürich sowie bei der Medizinhistorischen Objektsammlung der Universität Zürich. Zurzeit ist Alois Unterkircher am Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt im Bereich Sammlung und Inventarisierung tätig.