Mittagsvisite zum Frankensteinjahr


 
Diesmal dreht es sich um Hungertaler.

(ir) Seit 2010 findet jeden Dienstagmittag eine halbstündige Visite im deutschen Medizinhistorischen Museum statt, bei der ein Objekt gemeinsam betrachtet, in seiner historischen Bedeutung vorgestellt und eingehend diskutiert wird.

2018 steht jeweils die letzte Mittagsvisite im Monat im Zeichen des „Frankensteinjahres“. Den Auftakt am Dienstag, 30. Januar, macht Professor Marion Ruisinger mit einem besonders ungewöhnlichen Objekt: einem 200 Jahre alten „Hungertaler“, den das Museum 2016 mit Hilfe seiner Förderergesellschaft erwerben konnte.



Was auf den ersten Blick wie ein echter Taler aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine flache, kreisrunde Dose aus Zinn. Hebt man den Deckel an, entfaltet sich eine zierliche Girlande von acht ebenfalls kreisrunden, bedruckten und kolorierten Papierscheibchen. Auf der Vorderseite berichten sie in Bild und Text von den grauenvollen Missernten des Jahres 1816, auf der Rückseite danken sie Gott für den darauffolgenden reichen Erntesegen im Jahr 1817.

Das Jahr 1816 sollte als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte eingehen. Es brachte die größte Hungersnot des 19. Jahrhunderts mit sich. Die Ursache für die verheerenden Missernten war, wie wir heute wissen, die Veränderung der weltweiten Wetterlage durch einen Vulkanausbruch auf einer kleinen Insel östlich von Java.



Doch was hat dies mit dem Frankensteinjahr zu tun? In dem kalten Sommer 1816 weilte Lord Byron zur Sommerfrische am Genfer See. Unter den Gästen, die sich gemeinsam vor dem Kaminfeuer aufwärmten, gehörten auch der Dichter Percy Bysshe Shelley und seine spätere Frau, die achtzehnjährige Mary Godwin Wollstonecraft. Um sich die Langeweile zu vertreiben, kam man auf den Gedanken, Schauergeschichten zu erfinden, die gerade sehr in Mode waren. Mary dachte sich die Geschichte eines Medizinstudenten aus, der das Geheimnis des Lebens lüftete und aus Leichenmaterial einen neuen Menschen schuf. So entstand die Erzählung von Victor Frankenstein und seiner „Kreatur“. Wer weiß, ob Mary Shelley ohne den kalten Sommer 1816 jemals auf diese Geschichte gekommen wäre? Deswegen macht der „Hungertaler“, der zum Gedenken an die Jahre 1816/17 angefertigt worden war, im Deutschen Medizinhistorischen Museum den Auftakt zu den Frankenstein-Mittagsvisiten.

Beginn am 30. Januar ist um 12:30 Uhr. Die Mittagsvisite dauert 30 Minuten. Der Eintritt ist frei.