Ausgrabungen in Ingolstadt

(ir) Die Ingohöfe als Schlüssel zum Verständnis der Stadtwerdung Ingolstadts.

Baumaßnahmen rufen in Ingolstadt und in der Region regelmäßig die Archäologen auf den Plan. Denn der mittlere bayerische Donauraum gehört zu den reichsten Fundlandschaften in Deutschland. Die alte Residenz- und Universitätsstadt Ingolstadt ist ein besonderer Schwerpunkt der Bodendenkmalpflege. Die erst vor kurzer Zeit abgeschlossenen Ausgrabungen auf dem ehemaligen Ingobräu-Gelände stellen dabei einen Meilenstein für die Erforschung der Stadtgeschichte dar. Zusammen mit zahlreichen anderen Ausgrabungen ermöglich sie einen spannenden Rundgang durch Alt-Ingolstadt mit ganz neuen Aspekten seiner Entwicklung in Mittelalter und Neuzeit. Besonders überraschend und beeindruckend sind die in Ingolstadt gefertigten Bildwerke aus Ton aus einer jüngst entdeckten Kunsthafnerei beim Alten Krankenhaus.

Kammergut – Gründungsstadt – Residenzstadt – Festungsstadt. Diese Schlagworte skizzieren die Entwicklung Ingolstadts seit dem Frühen Mittelalter. Unweigerlich denkt man an einen Baum, der Jahrring für Jahrring von innen nach außen wächst, ausgehend vom „Siedlungskern“ um St. Moritz und das Alte Rathaus. Die aktuellen Ausgrabungen, vor allem auf dem heutigen Gelände der Ingohöfe (ehemals Ingobräu), haben gezeigt, dass sich die Stadtwerdung Ingolstadts vor etwa 800 Jahren nicht in dieses einprägsame und allgemein bekannte Schema pressen lässt. Das Gegenteil war offenbar der Fall – die Stadt entstand als Ergebnis eines Konzentrationsprozesses, also durch das Zusammenwachsen vieler verstreuter Siedlungen.

Ganz neu ist der Gedanke allerdings nicht. Die schriftliche Überlieferung wird seit vielen Jahren so interpretiert, dass in der Zeit der Stadtwerdung eine polyzentrische Siedlungsstruktur bestand. Die Stadtgeschichtsforschung geht also nicht von einer ausgedehnteren Hauptsiedlung aus, die sich direkt zur Stadt weiterentwickelt. Der alte Siedlungskern um die Moritzkirche sei stattdessen recht klein gewesen und habe sich räumlich vom südwestlich benachbarten vicus im Schutterknie um die Schäffbräustraße und vom östlich benachbarten Osterdorf im Bereich von Ludwig- und Beckerstraße abgegrenzt. Im Norden lag mit Hard eine weitere Siedlung. Hinzu kamen verstreut liegenden Einzelhöfen, wie der zu Hard gehörige Hof beim heutigen Hahnenhof, der Hof am Berg im Westen (beim „Mo“) oder ein weiterer, der mit dem heutigen Samhof beim Klinikum identifiziert wird. Der größte von ihnen war der Hahnenhof, der durch die Ausgrabungen vor Errichtung der Ingohöfe nun in großen Teilen archäologisch untersucht ist.

Bislang war allerdings unklar, ob und wie lange die einzeln überlieferten Höfe, die zu den Besitzungen der bayerischen Herzöge bzw. des Klosters Niederaltaich zählten, wirklich isoliert lagen oder ob sie nicht in größere Siedlungen eingebunden waren, deren Höfe keinen Niederschlag in der schriftlichen Überlieferung fanden. Für das Umfeld des Hahnenhofs ist durch die jüngsten Ausgrabungen klar, dass er im späten Mittelalter Teil eines bislang völlig unbekannten „Stadtviertels“ war, das erstaunlicherweise nicht in die erste Stadtbefestigung des 13. Jahrhunderts einbezogen wurde. Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Stadtwerdung Ingolstadts. Der Idee einer geplanten, regelmäßig angelegten Gründungsstadt der bayerischen Herzöge stand für viele Generationen die Realität mehrere Siedlungen gegenüber, die teils innerhalb, teils außerhalb der neu errichteten Stadtmauern des 13. Jahrhunderts lagen. Ein heutiger Ingolstädter würde dies wohl kaum als „Planstadt“ akzeptieren, und der Weg zum Ingolstadt der Sandtnermodelle war noch weit. Letztendlich setzte sich die Idee der Herzöge aber durch und prägt das Erscheinungsbild unserer Stadt bis heute.

Die Stadt gibt sich jedoch nicht nur in ihrer baulichen Struktur zu erkennen, sondern auch durch das Können und den Kunstsinn ihrer Bewohner. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist die Entdeckung einer Hafnerei beim Alten Krankenhaus aus der Zeit um 1700. Sie steht in einer Reihe mit den spätmittelalterlichen Töpfereien von der Harder- und der Konviktstraße, die für die bayerischen Herzöge und sicher auch für Universität und Kirchen anspruchsvolle Tonbildwerke wie Figuren und Figurengruppen, Bauschmuck oder repräsentative Kachelöfen herstellten.

Die Archäologie der Stadt Ingolstadt ist durch die zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahre neben den archivalischen Quellen zu einem zweiten Standbein der Stadtgeschichtsforschung geworden. Die großen Baumaßnahmen Ingohöfe und Sebastianstraße (Altes Krankenhaus) im ehemals eigentlich dünn bebauten Norden der Altstadt sind in diesem Zusammenhang ein völlig unerwarteter Glücksfall. Im Stadtmuseum werden die neu gewonnenen Erkenntnisse und Kunstwerke im Rahmen einer Sonderausstellung ab dem 30. Oktober erstmals vorgestellt werden.