Bei einigen Krebsarten beobachten Ärzte eine Zunahme der Schwere, bei Herzinfarkten mitunter Zögern, sich behandeln zu lassen.
(ir) „Ich sehe, dass in der Corona-Pandemie Vorsorgeuntersuchungen und diagnostische Abklärungen insgesamt seltener wahrgenommen werden“, bemerkt PD Dr. Lars Henning Schmidt, Direktor der Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Thorakale Onkologie.
Seit Beginn der Pandemie sieht er in seiner Klinik mehr Lungenkrebsfälle in weit fortgeschrittenen und metastasierten Stadien als noch vor Corona. Bösartige Lungentumore zählen ohnehin schon zu den häufigsten und gefährlichsten Krebsarten weltweit.
„Waren vor Beginn der Pandemie bei rund einem Viertel aller Patienten noch keine Metastasen nachweisbar, so beobachte ich, dass der Anteil dieser Patienten seit zwei Jahren nur noch etwa ein Zehntel beträgt“, bedauert der Chefarzt. Ähnliche Beobachtungen zur Schwere der Erkrankungen teilen eine Reihe weiterer Spezialisten im Klinikum Ingolstadt:
• „Ins Klinikum kommen rund 20 Prozent mehr Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen als noch vor der Pandemie“, schätzt Prof. Dr. Andreas Manseck, Direktor der Klinik für Urologie für seinen Bereich.
• Auch in der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie sieht Klinikdirektor Prof. Dr. Markus Rentsch vermehrt Patientinnen und Patienten mit schweren Krebserkrankungen des Magen-Darm-Traktes. Während des Lockdowns kamen vor allem bei potenziell heilbaren Tumoren der Bauchspeicheldrüse und Gallenwege, der Speiseröhre und des Dickdarms zwischen 20 und 30 Prozent weniger Patientinnen und Patienten. „Obwohl eine exakte Prozentangabe bei verschiedenen Tumorarten und individuell unterschiedlichen Grundvoraussetzungen problematisch ist, steht fest, dass mit jedem Monat, den der Krebs später erkannt wird, die Heilungschancen sinken“, betont Rentsch. Für viele der Erkrankungen, die in seiner Klinik behandelt werden, gebe es gute Früherkennungsprogramme wie etwa die Darmvorsorge.
• In den Herzkatheterlaboren des Klinikums, in denen blockierte Gefäße bei einem Infarkt wieder geöffnet werden, ist die Zahl der Patienten um etwa ein Fünftel gesunken, schätzt Prof. Dr. Karlheinz Seidl, Direktor der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin. Der durchschnittliche Rückgang liegt deutschlandweit sogar noch höher – bei 35 Prozent. Laut der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie ist die Sterblichkeit bei kardiovaskulären Erkrankungen um knapp zehn Prozent gestiegen. „Bei einem Herzinfarkt zählt wirklich jede Minute“, betont Seidl. Es gebe viele Warnzeichen: Wer zum Beispiel heftigen Druck oder brennende Schmerzen in der Brust verspürt, die länger als 15 Minuten andauern, sollte sofort ärztlichen Rat suchen.
• Das würde sich auch Prof. Dr. Thomas Pfefferkorn, Direktor der Klinik für Neurologie, wünschen. Vor allem während des ersten Lockdowns wurde deutschlandweit ein Rückgang der Schlaganfallpatienten von bis zu 25 Prozent beobachtet. „Ein Schlaganfall ist immer, auch in Zeiten einer Pandemie, ein medizinischer Notfall, der sofort behandelt werden muss“, sagt Pfefferkorn: Bei akuten Sehstörungen, Sprach-und Sprachverständigungsstörungen, Lähmungen, Taubheitsgefühlen oder starken Kopfschmerzen sollte sofort der Rettungsdienst verständigt werden.
Gemeinsam mit den fünf Klinikdirektoren richtet Dr. Andreas Tiete, Geschäftsführer und ärztlicher Direktor, einen Appell an die Menschen der Region 10: „Gehen Sie zur Krebsvorsorge, denn Versäumnisse bei der individuellen Prävention sind gefährlich für Sie. Zögern Sie nicht, bei Verdacht auf eine schwere Erkrankung wie einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt frühzeitig den Rettungsdienst zu rufen! Das Ansteckungsrisiko in einer Arztpraxis oder in einem Krankenhaus mit Sicherheitskonzept ist klein – viel geringer als das Risiko einer unerkannten Krebserkrankung oder eines zu spät behandelten Schlaganfalls oder Herzinfarkts.“