Ein Expertengespräch mit Professor Thomas Pollmächer, dem Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt.
(ir) Felder und Wald sind überzuckert mit Schnee. Der Duft von Plätzchen liegt in der Luft. Kerzenschein erleuchtet die Fenster und eine große Familie sitzt glücklich und freudestrahlend um den buntgeschmückten Tannenbaum – ein Weihnachtsidyll wie wir es uns wünschen und die Werbeindustrie Jahr für Jahr vorgaukelt. Doch die Realität sieht bei vielen Menschen anders aus: Abgehetzt vom Jahresendspurt im Job, gestresst von der Suche nach den passenden Geschenken, überfordert mit der Koordinierung der Verwandtenbesuche oder aber auch einsam. Weihnachten, das Fest der Freude, erzeugt bei vielen auch negative Gefühle. Wir sprechen mit Professor Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadt, über Stimmungslagen und echte psychische Erkrankungen rund um Weihnachten.
Gibt es so etwas wie eine Weihnachtsdepression oder ist das eine mediale Erfindung?
Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit mit intensiven Gefühlen verbunden, die vor allem dann negativ sind, wenn die Menschen einsam sind, oder mit sich und ihren Angehörigen nicht im Reinen. Der typische Weihnachtsstress tut dann noch sein Übriges, um bei manchen Menschen aus einem Freudenfest eine eher traurige Veranstaltung zu machen. Das ist in den meisten Fällen harmlos, kann aber schon in eine klinisch relevante Depression münden, zumal der Winter aus ganz anderen Gründen das Auftreten von Depressionen fördert. Hintergrund ist, dass wir in der dunklen Jahreszeit weniger Licht ausgesetzt sind, und helles Licht dazu beiträgt Depressionen zu verhindern oder abzumildern.
Woran erkennen Menschen, ob es sich um eine vorübergehende negative Gemütslage handelt oder um eine ernsthafte psychische Erkrankung?
Am besten erkennt man das daran, dass die traurige Stimmung oder die Antriebslosigkeit nur wenige Tage, maximal zwei Wochen dauert. Aber auch kurze Phasen einer depressiven Verstimmung sollte man ernst nehmen, insbesondere, wenn sie von schwerwiegenden Schlafstörungen oder lebensmüden Gedanken begleitet sind. Wenn man kurzfristig Hilfe sucht, kann man sich mittlerweile rund um die Uhr an den Krisendienst des Bezirks Oberbayern wenden.
Gibt es um die Weihnachtszeit vermehrt Patientenaufnahmen im Zentrum für psychische Gesundheit?
Alles in allem nicht. Denn einerseits kommen natürlich einige Menschen zusätzlich, die aus den oben genannten Gründen Hilfe brauchen, andere Menschen, denen es noch nicht oder nicht mehr so schlecht geht, vermeiden aber einen Krankenhausaufenthalt in der Weihnachtszeit, weil sie verständlicherweise bei ihren Lieben sein wollen. Während allerdings manche somatische Abteilungen über die Weihnachtstage wie ausgestorben sind, herrscht im Zentrum für psychische Gesundheit immer reger Betrieb.
Wie stimmen Sie sich auf Weihnachten ein?
Ich nehme mir ein bis zwei Wochen vor Weihnachten die Zeit recht viele Weihnachtskarten handschriftlich zu schreiben, kümmere mich um das eine Geschenk, das der traditionelle deutsche Ehemann besorgen muss, plane ein großes Weihnachtsmenu und freue mich dann auf ein paar Tage voller guter Gespräche und kulinarischer Köstlichkeiten. Das funktioniert übrigens – bei uns zuhause – tatsächlich seit Jahrzehnten ohne jeden Stress.
Hilfesuchende können sich nicht nur in der Weihnachtszeit an die Telefonseelsorge und Krisendienste wenden. Bei akuten psychischen Problemen steht Ihnen das Team des Zentrums für psychische Gesundheit rund um die Uhr zur Verfügung.