Der weibliche Herzinfarkt – eine unterschätzte Gefahr.
(ir) Wenn unser Herz in Not gerät, ist schnelle Hilfe gefragt. In Deutschland werden jährlich etwa 200.000 Frauen und rund doppelt so viele Männer wegen einer koronaren Herzerkrankung stationär behandelt. Relativ gesehen sterben jedoch mehr Frauen als Männer an dieser Erkrankung. Woran liegt das? Was den weiblichen Herzinfarkt so besonders macht, erklären Dr. Theresia Englmeier und Dr. Jacqueline Gümmer, Oberärztinnen der Medizinischen Klinik I am Klinikum Ingolstadt, zum Welt-Herz-Tag am Dienstag, 29. September 2020.
Der Herzinfarkt gilt als typische Männerkrankheit. Woher kommt das?
Dr. Gümmer: Zum einen leiden deutlich mehr Männer an einer koronaren Herzerkrankung als Frauen, zum anderen treten Risikofaktoren wie Rauchen, Adipositas, Bluthochdruck und Diabetes bei Männern häufiger auf. Außerdem sind Frauen bei ihrem ersten Herzinfarkt durchschnittlich zehn Jahre älter als Männer. Sie sind in der Regel aufgrund der weiblichen Hormone bis zu den Wechseljahren gut vor einer koronaren Herzerkrankung geschützt. Nimmt aber die Hormonproduktion in der Menopause ab, sinkt parallel dazu auch der Schutz. Ab dann haben Frauen ein genauso hohes Risiko für eine koronare Herzerkrankung wie Männer. Es ist daher umso wichtiger, durch eine gesunde Lebensweise einem Herzinfarkt vorzubeugen.
Welche Risikofaktoren für einen Herzinfarkt gelten speziell für Frauen?
Dr. Englmeier: Grundsätzlich sind viele Risikofaktoren bei Frauen und Männern gleich: Rauchen, Stress, Übergewicht, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen (Cholesterin). Es gibt jedoch auch einige Unterschiede: Nehmen Frauen die Pille und rauchen zusätzlich, erhöht sich ihr Risiko für einen Herzinfarkt um das Vierfache. Ähnlich ist das Risiko bei Diabetes: Während Diabetiker ein vierfach erhöhtes Herzinfarkt-Risiko haben, steigt es bei Diabetikerinnen um das Sechsfache. Außerdem steigt der Blutdruck nach der Menopause sehr schnell an und fordert deshalb besondere Aufmerksamkeit. Durch Lebensstilveränderungen oder zusätzliche Medikamente lassen sich einige kontrollierbare Risikofaktoren beeinflussen.
Woran erkennt man einen Herzinfarkt bei Frauen?
Dr. Gümmer: Angina-pectoris-Beschwerden, wie wir sie aus den Lehrbüchern kennen, treten meist erst auf, wenn ein Herzkranzgefäß zu mehr als 70 % eingeengt ist. Während Männer typischerweise ein Druck-, Engegefühl oder Schmerzen in der Brust, verbunden mit Atemnot, spüren, haben Frauen häufig unspezifischere Symptome, wie Atemnot, Luftnot, Übelkeit, Erbrechen, Verdauungsstörungen, Schlafstörungen, anhaltende Müdigkeit, Schmerzen im Oberbauch sowie ein Druck- und Engegefühl im Brustkorb. Insbesondere Beschwerden wie wiederkehrende Übelkeit oder auch Müdigkeit und Schwindel können Tage, Wochen oder sogar Monate vor dem eigentlichen Herzinfarkt auftreten. Das ist auch der Grund, weshalb Frauen häufiger an einem Herzinfarkt versterben als Männer: Da sie ihre Symptome zu spät auf einen möglichen Herzinfarkt zurückführen, suchen sie häufig deutlich zu spät eine Klinik auf. Mit nicht selten fatalen Folgen. Denn auch hier gilt die Regel der goldenen ersten Stunden: Ist ein Herzkranzgefäß verschlossen, sollte es so schnell wie möglich wieder geöffnet werden. Je schneller das geschieht, desto geringer ist der Verlust an lebendem Herzmuskel und desto besser ist die Lebenserwartung. Leider ist es erwiesen, dass 30 Prozent aller Herzinfarktpatienten zu spät reagieren, weswegen bei dieser Erkrankung nach wie vor eine vergleichsweise hohe Sterberate vorliegt.
Haben Sie einen Tipp, wie Frauen einen Herzinfarkt richtig deuten können?
Dr. Gümmer: Als eine Faustregel für Frauen kann man die sogenannte NAN-Regel anwenden: Sollten in einem Körperbereich zwischen Nase, Arm und Nabel unerklärliche Schmerzen auftreten, die länger als 15 Minuten dauern, kann das als Anzeichen für einen beginnenden Herzinfarkt gedeutet werden. In diesem Fall sollten Betroffene sofort reagieren und einen Arzt bzw. die Klinik aufsuchen.
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Wird ein Herzinfarkt bei Frauen anders behandelt als bei Männern?
Dr. Englmeier: Nein, bei einem Herzinfarkt muss zunächst so schnell wie möglich versucht werden, das verschlossene Herzkranzgefäß wieder zu öffnen. Das passiert mittels einer Herzkatheter-Untersuchung und einer Ballondilatation. In der Regel wird zusätzlich in das verschlossene Gefäß eine Gefäßstütze eingebaut, die das verschlossene Gefäß offenhalten soll. Ein weiterer wichtiger Baustein sind Medikamente zur Blutverdünnung, die mindestens 12 Monate strikt eingenommen werden müssen. Neben der medikamentösen Therapie, die leider nach einem Herzinfarkt unumgänglich ist, kommt es aber auch auf den Lebensstil an. Viel Bewegung, cholesterinarme Kost, Abnehmen und Rauchverzicht sind unabdingbare Voraussetzungen, damit es nicht erneut zu einem Infarkt kommt.
Das Foto zeigt Dr. Theresia Englmeier und Dr. Jacqueline Gümmer, Oberärztinnen der Medizinischen Klinik I am Ingolstädter Klinikum, die zum Welt-Herz-Tag am Dienstag, 29. September 2020 erklären, was den weiblichen Herzinfarkt so besonders macht.