Musterbeispiel für gelungene Integration



Der Iraker Munir Jassem ist erfolgreicher Sportler sowie geschätzter Lehrer.

(ir) Munir Jassem wirft Bälle in verschiedene Richtungen in der Sporthalle: zuerst zwölf Basket-, dann knapp 300 Tischtennisbälle. Schülerinnen und Schüler rennen ihnen hinterher, sammeln sie ein und bringen sie in den Mittelkreis zu Munir Jassem zurück. Sie haben eine Minute Zeit. Da kommt der eine oder die andere ganz schön außer Atem. „Herr Jassem ist ein sehr guter Sportlehrer. Ich habe schon viele Fußballtricks von ihm gelernt, aber auch, dass man Respekt haben und andere nicht foulen soll“, sagt der elfjährige Heli aus der sechsten KIasse der Sir-William-Herschel-Mittelschule in Ingolstadt.



Seit neun Jahren unterrichtet Jassem, der aus dem Irak stammt, Sport, inzwischen 30 Stunden in der Woche: an der Herschelschule sowie an der Ingolstädter August-Horch-Schule, einem sonderpädagogischen Förderzentrum. Auch beim Mittagessen betreut der 59-Jährige Schülerinnen und Schüler. Angestellt ist er bei der Caritas im Rahmen ihres Dienstes Ganztagesbetreuung an Schulen. Der gläubige Moslem fühlt sich durchaus wohl, für einen katholischen Träger zu arbeiten: „Wir haben großen Respekt vor Jesus und auch einen starken Marienglauben“, beteuert Jassem. Zudem ging er früher einmal auf eine katholische Schule.



Die Leidenschaft des Sportlehrers ist Tischtennis. 1989 war er arabischer Meister in dieser Sportart und nahm im selben Jahr an der Tischtennis-Weltmeisterschaft in Dortmund teil. Er wurde Nationaltrainer des Irak und von Jordanien. Seine erfolgreiche Tischtenniskarriere wurde ihm allerdings auch zum Verhängnis. Im Jahr 2000 fühlte er sich zu alt, um als Spieler bei der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Sydney für den Irak anzutreten. Zwei unvorbereitete Sportler, die stattdessen zu dem Wettbewerb geschickt wurden, scheiterten. Kurze Zeit darauf überfielen Jassem einige Männer in einem Park, schlugen ihn bewusstlos und zertrümmerten seinen gesunden linken Arm.



Als 2003 im Irak der Krieg ausbrach, entschied er sich, nach England zu fliehen. Mehrere Tage war er in einem Laster unterwegs, bis der Fahrer Jassem und andere an der A9 bei Ingolstadt absetzte. Er beantragte Asyl und fand schnell Kontakt zu mehreren Tischtennisvereinen in der Region Ingolstadt. „Ich habe insgesamt für 65 Vereine gearbeitet“, informiert er nicht ohne Stolz. Und er verweist darauf, dass er Spielerinnen wie Sabine Winter und Lena Kramm zu internationalen Erfolgen führte. Auch trainiert er derzeit das zehnjährige Nachwuchstalent Anna Walter, die bayerische Meisterin und deutsche Vizemeisterin in ihrer Altersklasse ist. Und nahezu jeden Abend erfreut er nach wie vor Spielerinnen und Spieler verschiedener Vereine mit seinen Tischtenniskünsten.



Die Kinder in den Schulen sind froh, mit ihm einen Lehrer zu haben, „der nicht streng ist und bei dem der Unterricht Spaß macht“, so der Sechstklässler Heli. Hier kommt es Munir Jassem, der Pädagogik und Sport studierte, nicht auf Leistung an, sondern darauf, Freude an der Bewegung, Disziplin, Gemeinschaftssinn, Selbstwertgefühl und gegenseitigen Respekt zu fördern. Nach den Lockdowns in der Coronakrise hat er die Kinder vorübergehend als „nicht so motiviert“ wahrgenommen, „aber das ist jetzt Gott sei Dank wieder viel besser geworden.“



Seine Beliebtheit in den Schulen sowie Vereinen hat bei ihm Spuren hinterlassen. Er schätzt die „Menschlichkeit, die ich in Deutschland erfahren habe“. Diese hat er selbst nicht nur als Tischtennisspieler und Lehrer zurückgegeben, sondern auch, indem er im Jahr 2015 Asylbewerbern half, als diese vermehrt nach Bayern kamen. Kontakte in den Irak hat der ledige Mann keine mehr. Seine Eltern leben nicht mehr.



Mit Wehmut denkt er daran zurück, „dass meiner krebskranken Schwester im Irak nicht geholfen werden konnte und sie so verstarb“. Munir Jassem bezeichnet nach 18 Jahren Leben in Ingolstadt und Umgebung Deutschland als seine Heimat und will die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Wenn Jassem immer wieder einmal als „Musterbeispiel für gelungene Integration“ hingestellt wird, fühlt er sich in diesem Schritt bestärkt.