So lebt es sich in der Demenz-WG während Corona



Wie Senioren in einer Demenz-WG und im Betreuen Wohnen Corona erleben.

(ir) Wir alle erinnern uns an Freitag, den 13. März 2020: Seit diesem Tag ist nichts mehr so, wie es einmal war. Spätestens seitdem hat uns Corona fest im Griff. Unser Alltag hat sich verändert: Familienfeiern, ja sogar Familienbesuche müssen seitdem genauer geplant – und im Zweifel wegen der Pandemie wieder abgesagt werden. Viele Menschen haben Verständnis dafür, weil sie verstehen, dass es letztlich um Leben oder Tod gehen kann. Was aber, wenn das Gedächtnis nicht mehr richtig funktioniert, wie erlebt man Corona dann?



„Unsere Angehörigen wollen uns die Hand geben oder uns umarmen“, erklärt Christian Ledl. Er ist der Sprecher der Angehörigen in der Stadtvilla Mathilde der Ingenium-Stiftung. Auch dort war und ist Corona natürlich ein Thema. Deshalb musste auch hier ein Plan her. „Wir wollten die größtmögliche Sicherheit. Uns war klar, dass wir das Virus nicht ewig von den Bewohnern fernhalten können“, erklärt Professor Dr. Jörg Wellnitz, der seit zwei Jahren mit seinem Pflegedienst und dem Verein Lebensring e.V. die Betreuung der Bewohner in den Wohngemeinschaften in der Neidertshofener Straße übernommen hat. Als Mitte März die Regel greift, dass Angehörige ihre Eltern nur noch am Gartenzaun oder per Telefon sprechen können, ahnte noch niemand, dass dies der Beginn einer langen, einsamen Zeit werden würde.



„Es war schon hart“, erläutert Annette Göttsche, die ihren Vater fortan nicht mehr persönlich besuchen durfte. „Aber wir waren andererseits auch erleichtert. Denn ältere Menschen gelten nun mal als Hochrisikogruppe – und da kann man gar nicht vorsichtig genug sein“.
Dennoch sollten die Demenzkranken so viel Alltag wie möglich bekommen – ohne sie gleichzeitig einer Gefahr auszusetzen. Und genau deshalb wurden neue Wege gegangen. „Wir haben uns im Team zusammengesetzt und lange überlegt, welche Maßnahmen wir ergreifen können“, so Wellnitz. „Um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten, kam der Vorschlag aus den Reihen des Teams, dass sich einzelne Kollegen ohne Familie oder Haustiere auf unbestimmte Zeit in den Häusern Mathilde und Helmut einquartieren.“



„Für uns Angehörige war das ein Glücksfall. Es war ja für die Bewohner schon schwierig genug. Sie haben natürlich gemerkt, dass etwas anders war. Aber durch das Engagement der Pfleger hatte auch meine Mutter immer dieselbe Bezugsperson. Das hat uns schon geholfen“, so Christian Ledl. Den Kontakt zur Außenwelt haben die Pfleger auch aufrechterhalten. „Wir haben jeden Tag Fotos bekommen und wussten, dass es unseren Eltern gut geht“.



Annette Göttsche pflichtet ihm bei: „Wir hatten es wahrscheinlich sogar besser als Angehörige von Patienten in Pflegeheimen. Wir sind froh, dass wir uns für diese Einrichtung entschieden hatten. Das ist die beste Lösung bei so einem Krankheitsbild“, erklärt Annette Göttsche, deren Vater zwischen-zeitlich verstorben ist. „Unser Weg war hart. Für alle Beteiligten. Aber er war richtig. Wir hatten bislang noch keinen einzigen Corona-Fall unter unseren Bewohnern. Und wir hoffen auch sehr, dass es so bleibt“, erläutert Prof. Dr. Jörg Wellnitz. Zwischenzeitlich dürfen die Angehörigen die Senioren wieder besuchen. Alle achten gemeinsam darauf, dass die gängigen Hygienevorschriften auch weiterhin eingehalten werden.



In den Räumen der Ingenium-Stiftung in der Neidertshofener Straße sind nicht nur die Wohngemeinschaften der an Demenz Erkrankten untergebracht, sondern auch neun einzelne Wohnungen, die ein Betreutes Wohnen ermöglichen. Einer der Bewohner ist der 92-jährige Gerhard Heimerl. Nach dem Tod seiner Frau ist er in die Nähe seines Sohnes gezogen und lebt seit 5 Jahren in seiner Wohnung in Friedrichshofen. Dort hat die Stiftung als Betreiber auf die Regeln in der Corona-Zeit hingewiesen. Allgemeine private Zusammenkünfte mussten zum Beispiel einige Zeit unterbleiben. „Wir waren sehr geschockt – konnten auf einmal nicht mehr an unseren Kaffee- und Spielestunden festhalten“, erinnert sich Heimerl. Sonst hatte sich der 92-Jährige rege an den Aktivitäten mit den anderen Bewohnern beteiligt. So kam zum Beispiel das Akkordeon regelmäßig zum Einsatz. „Wir haben uns aber diszipliniert verhalten, haben Masken getragen und die Hände gewaschen“, so Heimerl.



In einem Gedicht (Auszug) über die aktuelle Zeit, beschreibt Gerhard Heimerl die aktuelle Situation so:
„Hurra, hurra, wir leben noch
so klang ein Lied vor vielen Jahren.
Corona hat uns ausgebüxt,
wir müssen Masken tragen.
So manche schöne Kaffeestunde
ja auch Musik und Spielerunde
sie wurde uns genommen.
Besuchsverbot fürs ganze Heim
da dachte man im Stillen,
Gefängnis kann nicht schlimmer sein.
Hände waschen, Abstand halten
das wird unsre Pflicht jetzt sein.
Wenn wir diese Regeln halten
kann Corona und nicht schaden
und schläft eines Tages ein.“



Da das Betreute Wohnen in der Neidertshofener Straße nicht dem Heimgesetz unterliegt, gab es dort kein Besuchsverbot. In der Anfangsphase der Pandemie haben manche Angehörige freiwillig auf direkten Kontakt verzichtet, um die Gefährdung für ihre Angehörigen möglichst gering zu halten. „Mein Sohn kam dann immer ans Fenster und wollte wissen, ob ich was brauche. Das hat er mir dann besorgt und im Haus abgelegt“, berichtet Heimerl weiter. Sonst geht er selbst in den Supermarkt beziehungsweise zum Bäcker und Metzger um die Ecke. Heute auch wieder. Die Einschränkungen sind mittlerweile auch hier wieder gelockert worden. „Einmal habe ich meine Maske vergessen. Die musste ich dann erst zu Hause holen, bevor ich einkaufen konnte“, erzählt er mit meinem Lächeln. „Da müssen wir alle durch“, fasst Heimerl die aktuelle Situation noch einmal zusammen. „Wie lange das noch geht, weiß doch keiner.“