Die Villa Johannes in Ingolstadt startete mit Coronabeginn ein wegweisendes neues Projekt.
(ir) Corona hat ja ganz überwiegend Leid und Nachteile gebracht. Zum Anstoß eines wegweisenden neuen Projektes hat hingegen die Pandemie in der Villa Johannes geführt – einem Treffpunkt für suchtkranke und psychisch kranke Menschen der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt. Auf die Idee einer Mitarbeiterin hin startete die Einrichtung im März vergangenen Jahres eine Initiative Lebensmittelrettung.
Seitdem müssen Begegnungs- und Kontaktmöglichkeiten der Besucherinnen und Besucher eingeschränkt werden. Das gilt vor allem für das Mittagessen. „Normalerweise kommen zu diesem täglich um die 30 Leute auf einen Schlag. Das geht natürlich nicht mehr, sodass wir das Mittagessen jetzt nur noch an drei Tagen in der Woche für einen kleineren Kreis zubereiten“, informiert Silvia Kopp, Leiterin der Villa Johannes. Die Lebensmittelrettung stellt für den Großteil der Besuchenden jetzt eine Alternative dar. „Die Leute kommen, ziehen eine Nummer und holen Lebensmittel für sich ab. Dabei kann viel besser auf den Abstand geachtet werden, und wir bleiben dennoch mit den Männern und Frauen in Kontakt“, erklärt Silvia Kopp.
Der der Abholer ist der 51-jährige Albert M., der seit zweieinhalb Jahren regelmäßig zu dem Treffpunkt für suchtkranke und psychisch kranke Menschen kommt. „Man kann sich hier gut mit den Leuten unterhalten und mit den Mitarbeitern reden, wenn man Probleme hat“, erklärt Albert M., während er bei der Lebensmittelausgabe Äpfel in Empfang nimmt. „Die esse ich ganz gerne, aber auch Gemüse. Es gibt hier schon gute Sachen zum Mitnehmen.“ Vor Corona hat er in der Villa Johannes an einer arbeitstherapeutischen Beschäftigung „Montage von Spielzeug“ teilgenommen, jeden Tag zwischen zwei und drei Stunden.
„Das hat viel Spaß und ein bisschen Abwechslung gebracht“, erzählt Albert M. Doch nicht nur deshalb bedauert er, dass diese Beschäftigung derzeit nicht stattfinden kann. Er bekam dafür auch ein kleines Taschengeld, das ihm am Ende des Monats jetzt fehlt. „Diese Motivationszulage von 1,50 Euro pro Stunde ist etwas, womit die Leute hier fest rechnen. Wenn jemand den ganzen Monat arbeitet, sind das immerhin 90 Euro“, stellt Silvia Kopp klar. Und damit auch, dass die kostenlose Versorgung mit Waren aus der „Lebensmittelbrücke“ – wie es in der Villa Johannes heißt – für die Betroffenen nun eine wichtige finanzielle Entlastung ist.
Doch das Projekt hat nicht nur diesen finanziellen Vorteil: Hauptpunkt ist, dass durch es Lebensmittel konsumiert werden, die sonst weggeschmissen würden, weil Mindesthaltbarkeitsdatum oder Verbrauchsdatum überschritten sind. Wenn das Verbrauchsdatum vorbei ist, dürfen sie auch in der Villa Johannes nicht mehr verteilt werden, aber dann kommen sie immerhin noch dem Tierheim in Ingolstadt zugute, mit dem die Caritas-Einrichtung kooperiert. Wenn nur das Mindesthaltbarkeitsdatum vorüber ist, „sind die Waren aber meistens noch gut genießbar. Es macht Freude, wenn man das Gefühl bekommt, dass man Lebensmittel wertschätzt“, so Silvia Kopp, die ergänzt: „Die Waren haben eine Qualität, die sich unsere Besucherinnen und Besucher oft nicht leisten können.“
Ein dritter Vorteil des Projektes ist, dass es selbst zu einer arbeitstherapeutischen Maßnahme geworden ist, während andere solche Maßnahmen wegen Corona eingestellt werden mussten. Mit dem Fahrdienst der Villa Johannes holen einige Besucherinnen und Besucher die Waren persönlich bei einigen Supermärkten ab. „Das ist dann immer eine kleine Wundertüte für die. Wir bekommen mittlerweile nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Sachen wie Kleidung oder Kosmetikartikel“, sagt Silvia Kopp. Und die Organisation Foodsharing beliefert die Villa Johannes zudem mit Brot und Backwaren, die sonst auch entsorgt werden müssten.
Nachdem die Güter in die Einrichtung gebracht worden sind, werden sie dort von Besucherinnen und Besuchern sortiert und aussortiert. „Ich hole erst einmal das Obst heraus, auch die verfaulten Sachen und räume dann die Regale mit dem ein, was brauchbar ist“, erzählt die 56-jährige Judith S. Und dann verteilt sie mit anderen – immer dienstags und donnerstags ab 12 Uhr – die Lebensmittel an die bereits wartenden 20 bis 30 Leute. Neben Besucherinnen und Besuchern der Villa Johannes sind oft auch andere sozial bedürftige Menschen darunter, zum Beispiel Alleinerziehende mit geringem Einkommen oder ältere Menschen mit nur kleiner Rente. „Die Leute freuen sich wahnsinnig“, zeigt sich Judith S. von dem Projekt begeistert.
Dieses war am Anfang nicht auf Dauer gedacht, doch als immer mehr Leute kamen, entschied Silvia Kopp mit Ihrem Team, „diese tolle Sache weiterzumachen“. Zu Beginn wurde das Projekt in einem Zimmer des Hauses der Einrichtung durchgeführt. Seit kurzem tun die Beteiligten das in einer Außenhalle der Einrichtung, die sehr viel kühler ist: „Dort haben wir unser Logo der Villa Johannes angebracht, Regale eingerichtet und begonnen, das Projekt professioneller als eine Art Ladengeschäft aufzuziehen.“ Und der ursprünglich im Haus genutzte Raum kann wieder für andere arbeitstherapeutische Beschäftigungen genutzt werden.
Der Erfolg des Projektes ist in Zahlen nicht zu ermessen, doch er kann auch quantitativ dargestellt werden: „Wir gehen davon aus, dass wir seit März 2020 um die 1,5 Tonnen Lebensmittel bekommen haben“, informiert Silvia Kopp. Und sie freut sich über eine Ironie des Schicksals: „Eigentlich verdanken wir der Pandemie die Lebensmittelrettung.“