Zeit als kostbares Gut: Wer will Familienbegleiter werden?


   
ELISA bildet neue ehrenamtliche Familienbegleiter aus.

(ir) In Deutschland leben laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend rund 50.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer unheilbaren Erkrankung, an der sie frühzeitig sterben werden. Sie und ihre Familien stehen vor großen Herausforderungen. Zukunftspläne müssen angepasst werden, der Alltag muss neugestaltet werden. In der Region 10 steht die gemeinnützige Organisation ELISA Familiennachsorge den Familien zur Seite. Jetzt werden neue ehrenamtliche Familienbegleiter ausgebildet.



Petra Uhlmann ist 64 Jahre alt, wohnt in Ingolstadt und arbeitet seit gut einem Jahr als ehrenamtliche Familienbegleiterin für ELISA. „Ich bin 2021 in den Ruhestand gegangen, bin gesund und dankbar für 5 gesunde Enkelkinder. Ich hatte immer Glück im Leben und habe alles erreicht, was ich erreichen wollte“, so die Rentnerin. „Deshalb hatte und habe ich das Bedürfnis, mich für andere einzusetzen, die es nicht so leicht im Leben haben. Kinder liegen mir besonders am Herzen“, erklärt Petra Uhlmann, die selbst schon schwere Schicksalsschläge innerhalb ihrer Familie verkraften musste.



Diese eigene, so schmerzhafte Erfahrung und das Wissen aus dem Kurs helfen Petra Uhlmann bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe als ehrenamtliche Familienbegleiterin. Sie besucht einmal pro Woche eine Familie, die einen schwerstkranken kleinen zweijährigen Buben und ein gesundes sechsjähriges Mädchen hat. „Ich kümmere mich in erster Linie um das Mädchen, spiele mit ihr, unternehme was mit ihr. Sehr oft bin ich auch mit beiden Kindern beschäftigt, wenn die Eltern Besorgungen machen müssen“, erzählt Petra Uhlmann.



Es ist nicht nur Petra Uhlmann, die viel gibt – nein, im Gegenzug bekommt sie auch sehr viel zurück. „Ich bin so eine Art Oma und habe viel Freude an den Kindern. Durch die regelmäßigen Besuche schließt man die ganze Familie ins Herz. Umgekehrt freut sich natürlich auch das Mädchen immer sehr, wenn ich komme und ist traurig, wenn ich gehe. Die Mama ist sehr dankbar für die Zeit, die ich mitbringe.“ Für Petra Uhlmann ist die ehrenamtliche Tätigkeit bei ELISA deshalb laut eigener Aussage „Balsam für die Seele.“



Das mag im ersten Moment vielleicht komisch klingen, denn viele Menschen verbinden mit dem Thema Kinder und Tod erstmal ein beklemmendes Gefühl und viel Traurigkeit. „Im Gegensatz zur Hospizarbeit im Erwachsenen-Bereich dürfen unsere Familienbegleiter bereits ab der Diagnosestellung aktiv werden“, erklärt Nadine Dier, Geschäftsführerin von ELISA. „Das heißt, dass bei uns im wahrsten Sinne des Wortes auch ganz viel Leben mit im Spiel ist. Bei uns wird – auch wenn man sich das meist gar nicht vorstellen kann – tatsächlich auch sehr viel gelacht.“ Auch Petra Uhlmann hatte anfangs Bedenken, ob sie dem Thema wirklich gewachsen ist.



„Ich bin mit einer gewissen Skepsis zum ersten Kurstag gegangen. Noch am selben Abend war ich überrascht, dass wir nicht nur schwer verdauliche Kost durchgenommen haben, sondern auch wahnsinnig viel gelacht wurde. Meine anfängliche Skepsis war schnell verflogen“, erinnert sich Petra Uhlmann. Und Nadine Dier ergänzt: „Alle ehrenamtlichen Familienbegleiter, die den Kurs durchlaufen haben, haben ihn erfolgreich zu Ende geführt und einige von ihnen begleiten jetzt ganz individuell Familien.“



Die eine Familienbegleitung gibt es übrigens nicht, denn jede Familie ist anders. Und genau das ist ja auch das Schöne: Jede Familienbegleitung kann selbst darüber entscheiden, wie viel Zeit pro Monat sie zur Verfügung steht und wie sie diese Zeit in der Familie dann gestaltet. „Manchmal reicht die Zeit für einen Spaziergang, ein Puzzle oder das gemeinsame Plätzchen backen“.



Bevor Petra Uhlmann ihren ersten Einsatz in der Familie hatte, hat sie einen Kurs zur ehrenamtlichen Familienbegleiterin bei ELISA gemacht. Dieser Kurs umfasst in Summe 100 Stunden und bereitet die Ehrenamtlichen umfassend auf ihre spätere Aufgabe vor. „Wenn bei Kindern eine unheilbare Krankheit festgestellt wird, die dazu führt, dass sie früher als Gleichaltrige versterben, stellt dies die ganze Familie vor eine wahnsinnige Herausforderung“, erklärt Iris Modl, die bei ELISA den ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst leitet und für die Ausbildung der ehrenamtlichen Familienbegleiter zuständig ist. „Unsere ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begleiten diese Familien, sorgen – soweit möglich – für Entlastung und sind im Leben, im Sterben und später in der Trauer eine wichtige Stütze.“



Im Kurs setzen sich die angehenden Familienbegleiter intensiv mit den Themen Sterben, Tod und Trauer auseinander. „Im Kurs schauen wir uns gemeinsam an, wie Familien und ihre Kinder begleitet werden können. Schwerpunkte liegen vor allem auf der niedrigschwelligen psychosozialen Unterstützung. Hinzukommen unter anderem die thematischen Schwerpunkte Familiensysteme, das Finden der eigenen Rolle in der Begleitung, die Entwicklung einer professionellen Distanz und Nähe, aber auch Spiritualität und Selbstpflege“, erläutert Iris Modl grob die Inhalte.



Der neue Kurs startet Ende September, stattfinden wird er in der Stinnesstraße in Ingolstadt. Ausgelegt ist er als Wochenendkurs, das heißt die Schulungstermine finden meist Freitagsnachmittags und samstags statt. Interessierte können sich gerne jederzeit mit Iris Modl per E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. oder per Telefon unter der Rufnummer (01 72) 8 66 64 96 in Verbindung setzen. „Als ehrenamtlicher Familienbegleiter hilft man nicht nur anderen enorm, sondern entwickelt sich auch selbst in seiner Persönlichkeit weiter“, weiß Iris Modl aus eigener Erfahrung. „Wir freuen uns deshalb über alle, die uns dabei helfen wollen, für mehr Menschlichkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sorgen“.