„Das Zimmer auf der Straße“


 
Caritas-Aktion in Ingolstadt zur Jahreskampagne „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“.

(ir) Viele Bürgerinnen und Bürger wirkten zunächst einmal verdutzt, wenn sie gestern und heute auf dem Vorplatz des Ingolstädter Franziskanerklosters vorbeikamen: Denn dastanden, sozusagen auf der Straße, ein Wohnzimmer und eine Küche. Mit dieser ungewöhnlichen Aktion hat die Caritas-Kreisstelle Ingolstadt auf die bundesweite Jahreskampagne ihres katholischen Wohlfahrtsverbandes unter dem Motto „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“ aufmerksam gemacht. An die hundert Passanten machten nach Schätzung von Caritas-Mitarbeiterin Silvia Kopp Halt und „zig“ kamen mit ihr und ihrer Kollegin Silvia Mages in und vor dem „Zimmer“ ins Gespräch.

Viele hinterließen auch Botschaften an einer Pinnwand. Dort war zum Beispiel zu lesen: „Ich habe keine Hoffnung mehr. Wir werden es nicht ändern können“, „Ältere Leute kriegen oft keine Wohnung“ oder auch „Ich bin froh, eine Wohnung zu haben.“ Und auf die Frage, welche Bedeutung „Zuhause“ für einen persönlich hat, fanden sich bescheidene Antworten wie „ein Dach über dem Kopf‘“ bis zu „neben Arbeit das wichtigste Glück“.



Dass die Caritas die besondere Aktion am Franziskanerkloster auf die Beine stellte, liegt vor allem an den Erfahrungen ihrer Sozialpädagogen. Der Ingolstädter Berater Bernhard Gruber erklärte: „Beinahe täglich wenden sich Menschen an die Caritas-Stellen, die verzweifelt nach einer angemessenen Wohnung mit einer leistbaren Miete suchen.“ Silvia Kopp, die die Kontakt- und Begegnungsstätte für suchtkranke Menschen „Villa Johannes“ leitet, hat immer wieder mit obdachlosen Menschen zu tun, von denen viele in der städtischen Unterkunft am Franziskanerwasser untergebracht sind. Einer von diesen ist der 22-jährige Christian K. Er lebt nach eigenem Bekunden seit vier Jahren auf der Straße und schätzt „solche Hilfestationen wie die Villa Johannes und die Straßenambulanz von Bruder Martin“. Heute freute er sich darüber, im „Zimmer auf der Straße“ einen Kaffee zu bekommen. Bei seiner Wohnungssuche hatte er bisher keinen Erfolg. Wie viele andere betroffene Passanten wirkte er diesbezüglich resigniert, meinte aber: „Ich finde es cool, dass hier so auf diese Sache aufmerksam gemacht wird.“



Doch nicht nur Menschen, die soziale Probleme haben, fanden sich in dem Zimmer auf der Straße ein. „Es kamen auch viele sogenannte Normalbürger, die keine Wohnung finden. Das zeigt uns, dass wir mit der Kampagne den Finger in eine echte gesellschaftliche Wunde gelegt haben“, so Silvia Mages. „Und, dass man selbst froh sein kann, ein Zuhause zu haben.“ Silvia Kopp erkennt durchaus an, dass inzwischen einiges in Gang kommt. „Es wird viel gebaut in Ingolstadt, aber es geht darum, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagte sie bei der Aktion. Mit ihr will sie plastisch darauf aufmerksam machen, was die deutschen katholischen Bischöfe zum bevorstehenden Caritas-Sonntag schreiben: „Menschen erleben, dass sie trotz eines Einkommens als Polizisten, Verwaltungsfachkräfte, Erzieherinnen oder Krankenschwestern keinen bezahlbaren Wohnraum mehr für sich und ihre Familien finden. In immer mehr Städten und Regionen machen die Menschen die frustrierende Erfahrung, an den Rand gedrängt zu werden oder in zu kleinen Wohnungen leben zu müssen.“

Das Foto zeigt die Caritas-Mitarbeiterinnen Silvia Kopp (links) und Silvia Mages im Zimmer auf der Straße, die ins Gespräch mit wohnungsuchenden Menschen und an der Problematik „mangelnder bezahlbarer Wohnraum“ interessierten Bürgern ins Gespräch kamen.