Hundert Parkbänke bieten einen Platz für Vielfalt an



Queer Ingolstadt e.V. und Stadt setzen sich für Akzeptanz und Respekt für alle Menschen ein.

(ir) Anlässlich des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie bringen Aktive des Vereins Queer Ingolstadt e.V. zusammen mit der städtischen Gleichstellungsstelle an hundert Parkbänken im Stadtgebiet Regenbogen-Banner mit Sprüchen an: Respekt für alle! Liebe macht Familien aus! Vielfalt statt Einfalt! Ich bin Mensch! Mein Körper, meine Identität, mein Leben! Die Banner werden ab Samstag, 15. Mai 2021, für eine Woche an Parkbänken im gesamten Stadtgebiet zu sehen sein und bieten vielfältige Motive für individuelle Fotos.



Damit wollen die Stadt und der Verein Queer Ingolstadt e.V. gemeinsam auf die Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und queer-geschlechtlichen Menschen (LGBTIQ*) aufmerksam machen und ein Zeichen für die Anerkennung einer diversen Gesellschaft setzen. Der Regebogen steht mit seinen vielen Farben für die Vielfalt und Diversität unserer Gesellschaft.



Bürgermeisterin Petra Kleine unterstützt diese Aktion sehr gerne: „Eine Stadt die Vielfalt lebt und diese aktiv fördert, trägt viel zum persönlichen Glück ihrer Menschen bei. Dazu gehört auch, die geschlechtliche Identität finden und selbstbestimmt leben zu können. Vielfältige Städte sind im Übrigen selbst auch stärker und können in Krisen besser reagieren, es gibt mehr sozialen Zusammenhalt. Ich setze mich schon lange persönlich für diese Selbstbestimmungsrechte ein. Als Bürgermeisterin kann ich nun die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen und selbstbestimmten Lebensweisen und diese Vielfalt in unserer Stadt stärken und vor allem junge Menschen dabei unterstützen.“



Barbara Deimel, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, freut sich über die engagierte Zusammenarbeit mit den queeren Menschen vor Ort: „Viele Bürger*innen in unserer Stadt sind queeren Menschen gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Mehrheit wünscht sich auch mehr Akzeptanz und stellt sich gegen Diskriminierungen. Wir möchten mit solchen Aktionen die Vielfalt der Menschheit sichtbar machen, noch bestehende Barrieren beseitigen und die Situation für alle verbessern.“



Manuela Häusler von Queer Ingolstadt e.V. bestärkt dieser Schulterschluss in ihrer ehrenamtlichen Arbeit als Vorsitzende: „Wir freuen uns sehr über die produktive Zusammenarbeit. Es ist derzeit wichtiger denn je, sichtbar zu sein und zu zeigen ‚Wir sind ganz normale Menschen von nebenan‘, welche die gleichen Rechte verdient haben als jeder andere.“ Manuela Häusler ruft zudem dazu auf Fotos mit den bunten Bänken zu machen und sich solidarisch zu zeigen. Hierfür kann @queeringolstadt verlinkt und der Hashtag #IdahobitIN verwendet werden.



Der Gleichstellungsstelle ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Grundrechte für alle Menschen eingehalten werden und die Akzeptanz von queeren Menschen in der Bevölkerung weiter steigt. Leider gibt es noch Vorbehalte und Diskriminierungen gegenüber Menschen, die nicht der Heteronormativität entsprechen. Nicht überall wird queeren Menschen offen und wertschätzend begegnet, zu oft – auch im Internet – sind sie feindseligen Kommentaren, Hass und (digitaler) Gewalt ausgesetzt. Barbara Deimel macht darauf aufmerksam, dass LGBTIQ*-Menschen in Deutschland fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen sind, als die restliche Bevölkerung;



Die LGBTIQ*-Menschen fühlen sich doppelt so oft einsam wie die restliche Bevölkerung (DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Wochenbericht 10.02.2021). Eine 2017 im Bundestag publizierte Untersuchung ergab, dass die Suizid-Rate von LSBTI*-Jugendlichen vier bis sechsmal höher liegt als die der Vergleichsgruppe. Barbara Deimel erklärt: „Alle Menschen sollen frei und sicher in unserer Stadt leben können. Und wir sollten alle dafür hinsehen und uns dafür einsetzen. Wir alle sind die Mitte der Stadt – wer am Rand steht, sollte von uns eine Einladung für die Mitte bekommen“.



Die Erfolge in der rechtlichen Gleichstellung der LGBTIQ*-Menschen sind historisch betrachtet noch sehr jung. Selbst mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes 1945 endete die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland nicht. Mit dem von den Nationalsozialisten verschärften Paragraf 175 des Strafgesetzbuches, nach dem die Blickdiagnose „Homosexuell“ galt, wurden Homosexuelle weiterverfolgt. Die in der NS-Zeit begonnenen Kastrationen und Eingriffe in das Gehirn wurden fortgeführt. Vor diesem Hintergrund war es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Identität als betroffener Mensch aufzubauen.



Im öffentlichen Dienst, an Schulen und in der Bundeswehr wurden Homosexuelle entlassen. Erst mit den Emanzipationsbewegungen Ende der 1960er Jahre und von den Stonewall-Unruhen in der New Yorker „Christopher Street“ ausgehend wurden Bewegungen und Szenen geschaffen, die an der strafrechtlichen Stigmatisierung rüttelten. Im Zuge der Rechtsangleichungen nach der Wiedervereinigung wurde erst 1994 der Paragraf 175 gestrichen. Noch 1998 wurde ein Gesetzentwurf, der eine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zum Ziel hatte, abgelehnt. 2001 wurde dann die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ eingeführt und erst 2017 die „Ehe für alle“ geschaffen. Mit der „Dritten Option“ ist es seit 2018 möglich, dass Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, eine positive Geschlechtsbezeichnung zusteht.



So kann heute neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ im Geburten- und Personenstandsregister nun „divers“ eingetragen werden. Aktuell besteht rechtlicher Handlungsbedarf bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern, Regenbogenfamilien genannt. Immer dann, wenn die Familie nicht aus Vater, Mutter und leiblichem Kind besteht, entstehen für Regenbogenfamilien Nachteile. Dabei zeigen Studien der letzten Jahrzehnte, dass nicht die Familienstrukturen per se entscheidend für die gute Entwicklung von Kindern sind, sondern die Beziehungsqualität. Ganz wie in einem Spruch auf einem Banner auf den Punkt gebracht: „Liebe macht Familie aus!“.