Menschen mit Behinderung in Pandemie nicht vergessen



Caritas-Verantwortliche fordern zum Jahrestag für diese mehr differenzierte Lösungen.

(ir) Mehr differenzierte Lösungen für Menschen mit Behinderung in der Corona-Pandemie fordert der Caritasverband für die Diözese Eichstätt anlässlich des Internationalen Tages für diese Personengruppe am 3. Dezember. Für Heinz Liebhart, Leiter des Caritas-Zentrums St. Vinzenz, sind manche Maßnahmen schlicht unlogisch: „zum Beispiel, dass gruppenübergreifende Kontakte innerhalb einer Einrichtung außerhalb eines Lockdowns derzeit nicht möglich sind. Dies führt meist zu Unverständnis, da Kolleginnen und Kollegen aus einer Nachbarsgruppe am Arbeitsplatz zusammenkommen können, während dies mit denselben Leuten in der Wohngruppe nicht erlaubt ist.“



Liebhart hält „verständliche, widerspruchsfreie Entscheidungen in der Politik für nötig: für Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen und für Menschen mit geistiger Behinderung im Besonderen“. Dazu gehöre auch, dass nicht für alle stationären Einrichtungen dieselben Maßnahmen gelten sollten. „Die Lebenssituationen von Menschen mit Behinderung und alten Menschen sind schließlich unterschiedlich.“



Mieter aus dem Ambulant betreuten Wohnen von St. Vinzenz berichten, dass in der Pandemie bisher oft Informationen, die über Presse, Radio oder Fernsehen vermittelt wurden, für sie nur schwer verständlich gewesen seien. „Unsere eigenen Mitarbeitenden waren hier ständig gefordert, die Informationen richtig zu übersetzen: in Gebärden, in Leichte Sprache oder in anderer Form“, so Liebhart.



Zudem hätten Betroffene manch angenehme Aktivitäten zwischendurch wie etwa „Kaffeetrinken gehen“ nicht alleine durchführen können, „da die Kontaktpersonennachverfolgung verlangt, dass man schreiben und lesen kann. So wurde manch einer zurückgewiesen. Inklusion sieht anders aus, auch wenn das hier nur eine Facette ist und jeder Mensch derzeit Einschränkungen ertragen muss“.



Die Impfangebote in den Wohngruppen St. Anna für Erwachsene mit einer geistigen Behinderung haben Liebhart zufolge grundsätzlich gut geklappt. Allerdings hätten sich die Personen dort bessere medizinische Aufklärungsgespräche oder überhaupt solche Gespräche mit ihnen selbst gewünscht. „Nur weil ein Mensch kognitive Einschränkungen hat, darf man ihn bei medizinischen Interventionen nicht übergehen oder diese Aufgabe auf das Betreuungspersonal abwälzen. Hier besteht definitiv Nachholbedarf“, stellt der Einrichtungsleiter fest.



Menschen mit Behinderung dürften in der Pandemie nicht vergessen werden. Grundsätzlich seien durch die Corona-Pandemie mühsam erkämpfte Erfolge bei der Inklusion wieder zunichte gemacht worden. „Umso mehr müssen wir unseren Fokus wieder darauf richten. Es ist wichtig, dass kein Mensch auf der Strecke bleibt“, fordert Liebhart.



Viele der betreuten Kinder hätten zu Beginn der Pandemie nicht verstanden, warum eine Maske getragen werden muss oder, warum der Schulbus, der sonst täglich kam, viele Wochen nicht mehr kam. Doch nicht nur die Kinder und ihre Eltern seien enorm belastet. „Auch erwachsene Menschen mit Behinderungen hatten und haben es schwer.



Sie mussten viele Dinge erdulden und haben sie teilweise aufgrund von kognitiven Einschränkungen schlichtweg nicht verstanden: Warum darf ich meine Mutter oder meinen Vater nur vom Fenster sehen? Warum darf ich im Lockdown meine Arbeitskollegen in der Werkstatt oder Förderstätte nicht mehr treffen?“, nennt der Einrichtungsleiter Beispiele.



Cornelia Eichlinger, Leiterin der Offenen Hilfen in St. Vinzenz und Sprecherin für Behindertenhilfe bei der Caritas im Bistum Eichstätt, sieht aber auch positive Auswirkungen durch Corona: Die digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung sei mehr in den Mittelpunkt gerückt worden. Die betreuten Menschen hätten mehr als zuvor Interesse und Aktivitäten entwickelt. „Von unseren Offenen Hilfen wurden verschiedene Angebote auf Facebook gestellt, zum Beispiel angeleitete Sportübungen, Bastelanleitungen, Rezepte zum Mit- oder Nachmachen“, berichtet Eichlinger.



Dies müsse allerdings teilweise auch fachkundig begleitet werden, und nicht jeder Betreute habe die technischen Voraussetzungen. „Und nicht jeder Betreuer hat oder nutzt den Zugang zu den sozialen Medien und Netzwerken, um diesen Erfahrungsschatz dann auch wieder teilen zu können“, erklärt die Caritas-Verantwortliche. Sie folgert: „Medienpädagogische Unterstützung muss hier verstärkt zum Einsatz kommen: ein Feld, welches man bisher nicht im Fokus hatte.“