Scharpf liegt es an einer gute Zusammenarbeit mit der CSU



Ingolstadts Oberbürgermeister schrieb einen offenen Brief an die CSU-Stadtratsfraktion.

Unsere Redaktion erreichte ein offener Brief von Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf, der nachfolgend ungekürzt veröffentlicht wird:

„Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Alfred Grob,
liebe Bürgermeisterin Dr. Dorothea Deneke-Stoll,
sehr geehrte Mitglieder der CSU-Fraktion,

nach der Kommunalwahl ist die CSU im Mai auf eigenen Wunsch in die Stadtspitze eingetreten. Ich habe von Anfang an eine Mitwirkung der CSU in der Stadtspitze befürwortet und für entsprechende Mehrheiten geworben, denn mein erstes Bestreben war, die tiefen Gräben im Stadtrat aus der alten Amtsperiode zuzuschütten und für ein besseres Klima zu sorgen. Ich dachte das geht am besten, in dem man die vorher Verantwortlichen einbindet und eine für alle Parteien offene Zusammenarbeit anstrebt. Ich war zunächst hoffnungsfroh, dass auch in der CSU mit Alfred Grob und Dr. Dorothea Deneke-Stoll ein politischer Neuanfang gelingt. Das war leider ein Trugschluss.



Nach der Sommerpause häuften sich die Angriffe auf den Oberbürgermeister. Im ‚CSU-Broadcast - Immer montags Neuigkeiten aus der CSU-Fraktion!‘ vom 18. November 2020 wurden teils massive Vorwürfe im Wahlkampfduktus gegen mich erhoben. Ich habe mich damals bewusst nicht öffentlich gewehrt, sondern für 20. November 2020 zu einem Krisengespräch über die weitere Zusammenarbeit eingeladen.




Da Politik immer auch ein Geben und Nehmen ist und auch die CSU sich wie jede Partei profilieren muss, habe ich in dem Gespräch am 20. November 2020 gefragt, bei welchen Bereichen wir uns entgegenkommen und in welchen Themen wir uns beziehungsweise der CSU die Möglichkeit zur Profilierung geben könnten. Leider wurden von Seiten der CSU weder in dem Gespräch noch danach entsprechende Politikprojekte genannt. Der einzige Punkt war die Unzufriedenheit mit dem Stellenplan. Außer der einseitigen Fixierung auf den Stellenplan und die Verwaltungskosten frage ich mich seitdem, wofür die CSU in dieser Amtsperiode eigentlich steht?



Den Haushalt 2021 haben wir, nicht zuletzt dank der positiven Vermittlerrolle der FDP, im Dezember 2020 dann mit einem Kompromiss zusammen verabschiedet, aber bereits seit Anfang des Jahres spitzt sich die Situation erneut zu. In der ersten Sitzung des Konsolidierungsrates am 26. Januar 2021 erhob der CSU-Vertreter Albert Wittmann die Forderung, dass ab jetzt überhaupt keine neuen freiwilligen Leistungen mehr beschlossen werden sollten. Es wurde sogar die steile These in den Raum geworfen, dass man in der Verwaltung 1/3 Personal einsparen könne. Das hat mich massiv geärgert und ich habe in der Sitzung entsprechend harsch darauf erwidert.



Was soll dieses ständige Verwaltungs-Bashing? Die Mehrausgaben denken sich die Beschäftigten in der Verwaltung nicht selbst aus, sondern sind verursacht durch das Wachstum der Stadt, durch immer mehr Pflichtaufgaben der übergeordneten Gesetzgeber und durch Beschlüsse aufgrund von Stadtratsanträgen. Ich bin es wirklich leid, dass sich die Beschäftigten ständig dafür rechtfertigen und entschuldigen sollen, dass sie im Dienste unserer Bürgerinnen und Bürger ihren Job machen.



Selbst bei minimalst kostenträchtigen kommunalpolitischen Vorhaben wie der Erforschung der NS-Opfer oder dem Zentrum für lokales Freiwilligenmanagement, wo es um Stellen im Nullkomma-Bereich geht wird versucht, Sand ins Getriebe zu streuen. Im Stadtrat wird dann
so getan, dass man selbstverständlich hinter den Vorhaben stehe, aber in Wahrheit würden Teile der Fraktion am liebsten – wie die Sitzung des Konsolidierungsrats gezeigt hat – nur Pflichtaufgaben verwalten. Das ärgert mich und ich habe keine Lust mehr, die kommenden Monate und Jahre damit beschäftigt zu sein ‚Glutnester‘ auszutreten, die die mitregierende CSU (oder Teile davon) vorher gelegt hat.



Wir sind zwar in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, aber wir haben sehr gute Zukunftsperspektiven. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, in unsere Standortattraktivität zu investieren und dazu gehören – in aller gebotenen Zurückhaltung angesichts der aktuellen Hauskonsolidierung – auch freiwillige Leistungen. Es ist für die Zukunft unserer Stadt völlig kontraproduktiv, wenn wir nur noch Pflichtaufgaben verwalten. Eine solche Politik des ‚doppelten Lockdowns‘ ist der völlig falsche Ansatzpunkt in der jetzigen Situation.



Pflegestützpunkt, Innenstadtprozess, die Förderung bürgerschaftlichen Engagements und anderes mehr, das alles ist auch und gerade in der Krise gut angelegtes Geld für unsere Stadtgesellschaft. Die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts hängt davon ab, inwieweit es für unsere Zukunftsprojekte, ich nenne nur IN-Campus und die 100 Millionen Euro, die mit der Hightech-Agenda Bayern in die Urban Air Mobility fließen, gelingt, Fachkräfte in die Region zu holen. Das habe ich bereits in meiner Haushaltsrede betont. Welche Fachkräfte wollen in eine Stadt, die jeglichen Gestaltungsanspruch aufgibt? Ich möchte die Zukunft gestalten und nicht bloß verwalten!



Die Zusammenarbeit in der Stadtspitze hat auch etwas mit gegenseitigem Vertrauen zu tun.
So wie die CSU jetzt agiert wäre es besser gewesen, sie hätte - bei aller größter persönlichen Sympathie, fachlichen Wertschätzung und bei allem hohen Respekt für Frau Dr. Deneke-Stoll - niemanden in die Stadtspitze entsandt, denn beides geht nicht:
In der Stadtspitze vertreten sein wollen, aber als Fraktion in für den Oberbürgermeister wichtigen Fragen ständig auf Opposition zu gehen. Das passt auf Dauer nicht zusammen.



Wie in der Vergangenheit auch, werden die meisten Entscheidungen im Stadtrat über Parteigrenzen hinweg einhellig getroffen. Gerade in grundsätzlichen politischen Auffassungen hat sich aber im letzten dreiviertel Jahr gezeigt, dass wir oft fundamental konträre Positionen haben. Das muss man zur Kenntnis nehmen und das ist auch vollkommen in Ordnung, sofern die Verhältnisse klar sind, was aktuell nicht der Fall ist.

Deshalb hat sich bei mir, aber wohl bei Euch genauso, eine Menge Unmut aufgestaut.
Es stellt sich daher die Frage des weiteren Vorgehens, wenn Dorothea Deneke-Stoll innerhalb der Stadtspitze auf Dauer eine Oppositionshaltung einnehmen muss.



Mir liegt an einer weiterhin guten Zusammenarbeit im Stadtrat, auch mit der CSU, aber lasst uns bitte für die Zukunft Klarheit schaffen und die möglichen Konsequenzen klären. Ich möchte das offen ausreden, denn niemandem ist gedient, wenn sich Aggressionen weiter hochschaukeln.

Ich schlage deshalb ein zeitnahes Gespräch vor zu dem ich die Fraktionsspitzen und die Bürgermeisterin sehr gerne einladen möchte. Nachdem ich schon von mehreren Seiten und die letzten Tage vermehrt angesprochen worden bin, was in der Stadtpolitik brodelt, versende ich dieses Schreiben öffentlich.

Beste Grüße,
Christian Scharpf
Oberbürgermeister“