Schriftliche Botschaft von Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Scharpf.
(ir) Seit 1998 gedenkt die Stadt Ingolstadt jedes Jahr am 27. Januar zusammen mit den weiterführenden Schulen den Opfern des Holocaust. Da die von den Schülerinnen und Schülern gestaltete Gedenkveranstaltung in diesem Jahr nicht stattfinden kann, wendet sich Oberbürgermeister Dr. Christian Scharpf mit einer schriftlichen Botschaft an die Öffentlichkeit:
„Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 76. Mal.
Spätestens seit Hitlers Machtergreifung 1933 waren Juden diskriminiert, verfolgt und bedroht worden. Vor achtzig Jahren, 1941, begann dann die planmäßige Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Vernichtungslagern. Das größte dieser Lager war Auschwitz-Birkenau. Es gilt weltweit als Synonym für den Massenmord der Nazis an Millionen Juden.
Mindestens 1,1 Millionen Menschen – neben Juden auch Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende und weitere Verfolgte – wurden dort zwischen Herbst 1941 und Januar 1945 umgebracht. Als die Soldaten der Roten Armee das KZ am 27. Januar 1945 befreiten, lebten dort noch 7.000 Gefangene, darunter viele Kinder.
Viele Jahre lang hat man in Deutschland verdrängt, welche Gräuel sich in den Vernichtungslagern zugetragen hatten. Es dauerte fast zwanzig Jahre, bis Auschwitz 1963 vor einem deutschen Gericht juristisch aufgearbeitet wurde. Erst von da an waren wir Deutsche gezwungen, uns mit diesem Teil unserer Geschichte auseinanderzusetzen.
1996 wurde auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog der 27. Januar zum offiziellen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. 2005 erklärten ihn die Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
In Ingolstadt fand am 27. Januar 1998 die erste offizielle städtische Gedenkveranstaltung in Kooperation mit einer Schule statt. Seitdem hat sich jedes Jahr eine andere Schule bereiterklärt, das Unfassbare begreiflich zu machen. Schülerinnen und Schüler haben mit Ausstellungen, Musik und Theaterstücken die Erinnerung an etwas aufrechterhalten, das sie selbst nicht erlebt haben.
Natürlich sollte auch heuer an die Befreiung des KZ Auschwitz und die Opfer des Holocaust erinnert werden. In der Ickstatt-Realschule haben die Vorbereitungen dafür schon vor Wochen begonnen. Doch wie so vieles verhindert die Corona-Pandemie in diesem Jahr auch diese wichtige Veranstaltung.
Die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar war für mehrere tausend Menschen Rettung in letzter Minute. Ein Feiertag im üblichen Sinne ist dieser Tag dennoch nicht – er ist vielmehr ein Gedenk- oder Denk-Tag. Ein Tag, an dem wir einmal mehr über die Vergangenheit nachdenken. An dem uns das Nachdenken über die Vergangenheit Orientierung für die Zukunft gibt.
Denn nur die Erinnerung und die ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte lässt uns aufmerksam werden für die Gefahren, die auch heute drohen: Populismus und Nationalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, Hass und Hetze. Unter dem Deckmantel „Man wird doch wohl sagen dürfen“ werden antisemitische und rassistische Äußerungen – ob analog oder in den sogenannten sozialen Medien – gerade wieder salonfähig. Auf deutschen Schulhöfen werden jüdische Kinder wieder bespuckt und ausländische Kinder beschimpft.
Unsere Kinder und Jugendlichen und alle Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus noch gar nicht geboren waren, tragen keine Schuld an den Geschehnissen damals. Aber wir tragen Verantwortung für die Gegenwart. Und Verantwortung für die Zukunft. Dafür, dass so etwas nie wieder geschieht.
Es ist politische Wachsamkeit gefordert.
Gefordert ist aber auch die Wachsamkeit eines jeden Einzelnen.
Christian Scharpf, Oberbürgermeister“
Seit 1998 wird der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar von einer der weiterführenden Schulen in Ingolstadt vorbereitet. In diesem Jahr hatte sich die Ickstatt-Realschule zur Organisation und Gestaltung der Gedenkveranstaltung bereiterklärt.
Lehrer und Schüler haben in einer Arbeitsgruppe unter Leitung der Fachvorsitzenden für Geschichte, Julia Zscharnack, für den 27. Januar ein Programm erarbeitet. Dieses sah einen Gang zum Jüdischen Friedhof mit von Schülern gestalteten Sprechszenen zu aktuellen Bezügen (Ausgrenzung von Gruppen/Menschen) und jüdischer Musik vor. Aufgrund der Pandemie und des Distanzunterrichts können diese Programmpunkte nicht stattfinden.
Als Gedenken an die Opfer des Holocaust werden Schülerinnen und Schüler der Ickstatt-Realschule am Mittwochabend verschiedene Stolpersteine in der Ingolstädter Innenstadt mit Lichtern und Rosen dekorieren. Im digitalen Unterricht wird am Mittwoch in allen Klassen in der 1. Stunde im Rahmen des Morgengrußes an die Opfer des Holocaust erinnert.