Krisendienst noch zu wenig bekannt


 
Knapp zwei Jahre Krisendienst Psychiatrie: Caritas-Mitarbeitende schildern Beispiele.

(ir) Seit fast zwei Jahren gibt es in der Region 10 – Ingolstadt und den Landkreisen Eichstätt, Neuburg-Schrobenhausen und Pfaffenhofen – den Krisendienst Psychiatrie. An ihn können sich Menschen in seelischen Krisen und psychiatrischen Notlagen rund um die Uhr wenden: Telefonnummer (01 80) 6 55 30 00. „Der Krisendienst hat eine wesentliche Lücke für eine schnelle Hilfe gefüllt“, zieht Martin Guth, Gebietskoordinator für die Region Ingolstadt, als grundsätzliches Fazit. Guth zufolge hatte die Leitstelle in München 2018 rund 23.500 telefonische Kontakte mit Hilfesuchenden aus ganz Oberbayern. Aus Ingolstadt und dem Landkreis Eichstätt waren es „an die 320“. Hier leisten den Dienst die beiden Sozialpsychiatrischen Dienste der zuständigen Caritas-Kreisstellen gemeinsam mit der „Sozialen Zukunft“, einer gemeinnützigen Gesellschaft der Arbeiterwohlfahrt: die Caritas tagsüber, ihr Partner abends, an Wochenenden und Feiertagen (AWF). „Diese Zusammenarbeit Hand in Hand stellt in unserer Versorgungslandschaft eine bisher nicht dagewesene verbindliche Kooperation dar“, freut sich Guth. Auch die Kooperation mit psychiatrischen Kliniken sei mit der Einführung des Krisendienstes intensiviert worden. „Nur ist die psychiatrische Soforthilfe noch zu wenig bekannt, auch bei Ärzten“, bedauert er. Von den beiden mobilen Einsatzteams der zwei Caritasdienste rücke im Durchschnitt gerade einmal eins alle zwei Wochen aus. „Der Bedarf ist mit Sicherheit größer als der Bekanntheitsgrad.“ Um welche Nöte es zum Beispiel geht, schildern drei beteiligte Caritas-Mitarbeitende aus Eichstätt und Ingolstadt.

Die Leitstelle des Krisendienstes vermittelte dem Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas-Kreisstelle Eichstätt an einem Freitag eine sehr aufgelöste, niedergeschlagene junge Frau mit zittriger Stimme. Die junge Frau hatte gerade ihr Abitur bestanden und auch durchaus viel Kontakt mit anderen Menschen. Sie litt jedoch unter einer panischen Zukunftsangst und hatte bereits Antidepressiva genommen. „Sie zweifelte an sich selbst und offenbarte im Gespräch eine gewisse Lebensmüdigkeit. Es ging für uns darum, die Lage zu deeskalieren“, berichtet Frank Mronga, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes in Eichstätt. Beim Erzählen und aufmerksamen Zuhören und Nachfragen, so Mronga, sei bei ihr schon eine Erleichterung zu spüren gewesen. Der nächste wesentliche Schritt war nach seinen Worten, „zunächst das bevorstehende Wochenende für sie zu strukturieren: mit vielen gesetzten Terminen und persönlichen Kontakten, bei denen sie wenig ins Grübeln kommen konnte“. Das hört sich banal an. Die junge Frau hatte dem Caritasberater zufolge jedoch selbst einen solchen „Tunnelblick“, dass ihr das alleine ohne professionelle Hilfe nicht gelang. „Wir baten sie, am Montag erneut in unseren Sozialpsychiatrischen Dienst zu kommen. Dort zeigte sie sich dann auch bereits gelöster.“ Jetzt besprachen Mronga und sie einige Strategien für ihre Zukunft. „Nach einem weiteren Treffen vertraute die Frau darauf, ohne unsere Unterstützung zurechtzukommen“, berichtet der Caritasberater über einen neu gewonnenen Lebensmut der Betroffenen.



Eine Frau meldete sich beim Krisendienst und schilderte, dass ihr Mieter unter Verfolgungsängsten leide sowie eigen- und fremdgefährdende Äußerungen tätige: „Entweder du oder ich müssen sterben.“ Einen stationären Aufenthalt hatte er abgebrochen und Medikamente abgesetzt. Seinen Job hatte er verloren. Nun sollte er wegen Mietschulden auch aus der Wohnung ausziehen. Im Rahmen eines mobilen Einsatzes vor Ort sprachen Maika Böhme und eine Kollegin vom Dienst für psychische Gesundheit der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt mit dem Betroffenen. Dem Mieter sei im Gespräch bewusst geworden, so Maika Böhme, „dass es für ihn das Beste ist, wenn er sich erneut in stationäre Behandlung begibt“. Einen Aufenthalt in der örtlich zuständigen Klinik habe er aber aus persönlichen Gründen abgelehnt. „Wir setzten uns deshalb mit der Klinik im benachbarten Landkreis in Verbindung. Nach Schilderung der Situation und im Hinblick darauf, dass der Mann sich sonst nicht behandeln lassen würde, stimmte diese Klinik einer Aufnahme zu“, berichtet die Caritasberaterin.



Ein Asylbewerber, dessen Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war, hatte Angst, abgeschoben zu werden. „Er äußerte Gedanken, sich umzubringen und wünschte, in eine Klinik aufgenommen zu werden“, berichtet Andrea Ploß, Fachdienstleiterin und Beraterin des Dienstes für psychische Gesundheit der Caritas Ingolstadt. Eine andere Beratungsstelle, die ihm dafür nicht helfen konnte, rief die Leitstelle des Krisendienstes Psychiatrie an. Diese schickte den Asylbewerber umgehend zum Caritasteam der Beratung für psychische Gesundheit. Wie immer im Krisendienst nahm sich dieses auch dieses Falles zu zweit an. „Es stellte sich heraus, dass der Hilfesuchende seit vier Jahren in Deutschland in einer Asylunterkunft ohne Familie allein lebt. In Deutschland hatte er fast keine Freunde. Auch fehlte ihm eine Arbeit. Einzig das Bibellesen mit Bekannten gab ihm etwas Halt“, berichtet Andrea Ploß. „Nach einem stationären Aufenthalt im Klinikum, wo sich sein Zustand vorübergehend stabilisiert hatte, ging es ihm nun wieder schlechter. Er gab an, Stimmen und Geräusche zu hören. Dies machte ihn zum Teil aggressiv.“ Daher könne er nicht mehr in sein Zimmer in der Asylunterkunft zurück, sagte er. Und dies wiederum habe seine Suizidgedanken verstärkt. Er war bei einer Psychiaterin in Behandlung, der nächste Termin jedoch erst wieder in ein paar Wochen. „Deshalb begleitete unser Einsatzteam den Mann zu seiner Psychiaterin, um eine Einweisung in die Klinik abzuklären. Er war schließlich allein in der Lage, sich dorthin zu begeben“, zeigte sich die Caritas-Beraterin beruhigt über einen guten Ausgang nach kritischer Lebenssituation.

Das Foto zeigt die Caritas-Mitarbeiter Maika Böhme (links) und Andrea Ploß aus Ingolstadt. Sie erhalten von der Leitstelle immer wieder „Krisenfälle“, auf die sie unmittelbar reagieren müssen.