Auch die Freien Wähler nehmen zum Stadthaushalt 2018 Stellung im Ingolstädter Stadtrat.
(ir) Nachfolgend veröffentlichen wir die Rede zum Haushalt 2018 von FW-Fraktionsvorsitzenden Peter Springl.
„Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Wahlergebnisse sind – bundes- wie kommunalpolitisch – nicht Ausdruck einer zufälligen Tageslaune der Wählerinnen und Wähler. Sie bringen vielmehr zu Tage, was die Bevölkerung stört und worüber sie sich Sorgen macht - auch unterschwellig.
Politisch ist bei der Bundestagswahl am 24. September nicht nur einfach ein Sturm hinweggefegt. Da wurden nicht nur ein „paar Bäume“ umgeknickt. Es gab tektonische Verschiebungen. Die Parteien, vor allem die CDU/CSU und SPD, bekamen die Quittung für die Flüchtlingspolitik - aber nicht nur deswegen.
Wie alle Analysen zeigen, gab es viele andere Ursachen und Gründe für das Wahlergebnis vom 24. September.
Und etliche dieser Ursachen und Gründe sind nicht allein in der Bundespolitik zu suchen, sondern haben auch mit der Politik in den Gemeinden und Städten zu tun. Auch hier in Ingolstadt, wenn ich an das Abschneiden der AfD denke.
Viele Bürgerinnen und Bürger reflektieren nicht lange hin und her, welche politische Ebene nun denn für welchen Missstand verantwortlich ist. Sie ärgern sich über zu teure Wohnungen, über nervtötende Staus oder über sanierungsbedürftige Schulen, und wollen „denen da oben“ einen ordentlichen Denkzettel verpassen. Und wenn sich jemand findet, der diesen Unmut lautstark artikuliert, dann wird auf dem Wahlzettel dort das Kreuz gemacht, egal ob diese Partei Lösungen anbietet oder nicht, egal ob man die Personen kennt oder nicht.
Ich warne also davor, das Wahlergebnis vom 24. September allein mit den Themen Flüchtlinge, Migration und Sicherheit zu erklären. Auch wir Kommunalpolitiker sind aufgefordert, selbstkritisch zu hinterfragen, ob wir wirklich vor allem die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Auge haben, oder ob wir nicht manchmal dazu neigen, den lautstarken Minderheiten und deren Forderungen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Und damit meine ich gerade auch inhaltslose „Lautsprecher“ oder Minderheiten in diesem Stadtrat.
Lassen Sie mich noch einmal zur Flüchtlingspolitik zurückkommen. Die Sorge, die die Entwicklung der letzten beiden Jahre bei vielen Menschen ausgelöst hat, darf keineswegs verniedlicht werden.
Auch ich habe mir Fragen gestellt: Kann die Integration so vieler Zuwanderer in so kurzer Zeit gelingen? Wer soll dies alles finanzieren? Was bedeutet der Zustrom von so vielen Menschen für unser Miteinander, für unsere Kultur, für unsere Sicherheit?
Jedoch haben wir als Politiker, ganz egal auf welcher Ebene, die verdammte Pflicht, die Probleme anzupacken und Lösungen zu finden. Und wir sollten es tunlichst unterlassen, denen hinterher zu hecheln, die das Flüchtlingsthema dazu missbrauchen, ihre nationalistischen und radikalen Parolen unters Volk zu bringen. Aber auch das Gefühl wohliger Selbstgerechtigkeit bei der Aufnahme der Flüchtlinge, seit 2015 von einem Großteil der Medien verbreitet, fand beim realpolitischen Wähler keinen Widerhall.
Weder mit Parolen noch mit Selbstgerechtigkeit lösen wir die Probleme!
Meine Damen und Herren, zurück zur Kommunalpolitik:
Dass Politik auch viel mit Vertrauen zu tun hat – Vertrauen, das wir Politiker uns bei den Bürgerinnen und Bürger erst verdienen müssen – ist eine Binsenweisheit.
Manches was wir in den vergangenen Monaten in diesem Gremium hier erlebt haben, trägt nicht dazu bei, dieses Vertrauen zu stärken.
Dass eine Stadträtin oder ein Stadtrat seine Fraktion oder Partei verlässt, ist rechtlich zu respektieren. Aber die Häufigkeit, wie dies in diesem Stadtrat geschah, wirft die Frage auf, ob die Wählerinnen und Wähler diesen Stadtrat so gewollt haben. Die Wechsler müssen sich fragen, ob ihre Gründe schwerwiegend genug waren.
Seien sie aber versichert: Der Wähler wird es richten! Mag sein, dass der eine oder andere „Fahnenflüchtige“ wieder in den Stadtrat kommt. Aber in Summe auf Kosten der aufnehmenden Gruppierung, denn ob damit mehr Mandate zu gewinnen sein werden, das ist sehr fraglich.
Meine Damen und Herren,
wir leben in einer Zeit, in der fast schon Tag für Tag neue Anforderungen auf uns zukommen, und völlig unvorhersehbare Aufgaben zu bewältigen sind, wie die Flüchtlingskrise.
Daher wird es immer schwieriger, sich mit einer unaufgeregten, bodenständigen und auf langfristige Ziele hin ausgerichteten Politik Gehör zu verschaffen. Wir haben es mit ständigen Stimmungsschwankungen zu tun – Kanzlerkandidat Schulz und der französische Präsident Macron können ein Lied davon singen.
Als die Umfragewerte Macrons nach dessen Wahl drastisch gesunken sind hat Hubert Aiwanger im Juli 2017 dazu gesagt: „Vor kurzem noch hochgejubelt, dann wieder heruntergezogen.“ Aber auch wir in der Kommunalpolitik sind gegen solche Stimmungsschwankungen - oft von den Medien genährt - nicht gefeit.
Wir fragen uns: Was hilft dagegen? Eine unaufgeregte Politik der ruhigen Hand oder hektischer Aktionismus? Manche in diesem Hause glauben, ihr Heil im Aktionismus suchen zu müssen. Nur so ist die unglaubliche Fülle an Sachanträgen im Stadtrat zu erklären. Mein „Nachbar Schorsch“ beschreibt die Antragsfülle treffend: „Es ist wie im Schlussverkauf – alles muss raus!“
Eine Gruppierung, die mit der eingebauten moralischen Vorfahrt, tut sich dabei besonders hervor, kopiert munter Anträge aus ihrer Bundespartei-dropbox und verkauft sie als eigene Ideen. Als ich ein Interview von Wolfgang Kubicki in der Neuen Züricher Zeitung vom 26. November über die Grünen las, klang das auch wie ein deja vu mit anderen Stadtratsgruppierungen: „Für sie ist Marktwirtschaft Teufelszeug. Sie würden am liebsten mit dem Ordnungsrecht arbeiten. Ihre politischen Instrumente sind Verbote, Quoten und die Androhung von Strafen.“ Und Kubicki weiter: „Sie haben sich manchmal aufgeführt, als seien sie die Auserwählten, um Europa zu retten und den Frieden auf Erden herzustellen.“
Wenn man allen Anträgen und Resolutionen zustimmen würde, für die der Stadtrat keine Regelungskompetenz hat, dann bräuchte der Ingolstädter Stadtrat eine ständige Vertretung in Berlin, eine ständige Vertretung in Brüssel und eine in New York bei den Vereinten Nationen. Und wenn man alle Anträge passieren ließe, würde sich der Ingolstädter Haushalt bald auf demselben Niveau bewegen wie die Finanzlage von Boris Becker.
Bereits 2016 habe ich in der Haushaltsrede gesagt: „Eine solide Finanzpolitik ist die beste Wahlkampfstrategie für 2020. Wer nur fordert und immer mehr fordert, lebt in einer imaginären Parallelwelt.“
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich vor dem Ingolstädter Haushalt einen Blick nach München werfen:
Bei den Haushaltsberatungen sagte Oberbürgermeister Reiter – ich zitiere die SZ vom 20. und 21 November:
- Zu den Investitionen:
Die Stadt „trägt ein ganzes Paket von Investitionsfantasien vor sich her. Deshalb ist mehr Disziplin gefragt.“
- Zum Personal:
Der Münchner Stadtrat hat seit der Kommunalwahl 2014 5000 neue Stellen geschaffen. Er muss jetzt im Haushalt 2018 270 geplante und teilweise schon beschlossene Stellen streichen.
Ich verwende die Begriffe Opposition und Koalition in dieser Rede in Hochkommata, wohl wissend dass der Stadtrat ein Kollegialorgan ist.
Bemerkenswert – vor allem mit Blick auf unsere „Opposition“ und deren Sachanträge – ist die Feststellung einer Münchner Grünen-Stadträtin mit dem schönen Namen Katrin Habenschaden, dass das städtische Personal häufig mit sinnlosen Planungen beschäftigt wird, deren Umsetzung unsicher sei.
Der FDP-Fraktionschef im Münchner Stadtrat, Michael Mattar, fordert die Verwaltung auf, nicht für jede neue Aufgabe eins zu eins neue Mitarbeiter zu fordern, sondern intern umzuschichten und Aufgaben zu priorisieren.
Vieles von dem gilt auch – in Bezug auf „Oppositionsanträge“ – für uns hier in Ingolstadt.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,
wenn wir die Stadt voranbringen wollen und auf die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die ich am Anfang angesprochen habe, reagieren wollen, dann brauchen wir eine handlungsfähige Verwaltung und stabile entscheidungssichere Mehrheiten.
Mit Aktionismus- und Zufallsmehrheiten kommen wir nicht weiter. Wir – die Freien Wähler – bleiben ein berechenbarer Partner. Bis 2020 wird diese „Koalition“ ihren Wählerauftrag erfüllen. Danach werden die Karten neu gemischt. Bis dahin müssen wir Freien Wähler mit der Crux jeder „Koalition“ leben: Sind wir berechenbar und zuverlässig, dann heißt es, wir seien Erfüllungsgehilfen, tragen wir aber jede Meinungsverschiedenheit nach außen, dann heißt es, wir sind nicht koalitionsfähig.
Was dabei herauskommt, wenn Politiker sich ihrer Verantwortung entziehen, und nicht kompromissbereit sind, das haben wir in den vergangenen Wochen in Berlin zur Genüge erlebt.
Meine Damen und Herren, ich komme nun zu einem Thema, das viele in dieser Stadt sehr bewegt, dem Thema Klinikum und Compliance.
Dieser Rechtsstaat hat mich bisher nicht enttäuscht!
Er macht Gebrauch von seinen Mitteln und Möglichkeiten, Unregelmäßigkeiten oder Straftaten zu ermitteln und zu bestrafen, oder bei Unschuld freizusprechen. Was wir daher nicht brauchen, sind selbsternannte Oberstaatsanwälte in diesem Stadtrat. Die Staatsanwaltschaft hat gezeigt, und die Gerichtsbarkeit wird zeigen, dass sie mit dem Thema rechtsstaatlich umgehen können.
Bereits 2016 habe ich in meiner Rede zum Haushalt gesagt: „Füge anderen nicht zu, was andere dir nicht zufügen sollen. Es ist die stärkste philosophische Waffe gegen anonyme Vorwürfe, gegen Lügen, Verleumdungen und Beleidigungen. Anonymität ist in diesem Zusammenhang Feigheit und Rachsucht gleichzeitig, gepaart mit der „Lüge ist sie der Abgrund des Bösen.“ Da hat wohl ein Stadtrat damals nicht zugehört.
Ich frage mich mittlerweile ernsthaft, ob kommunale Compliance-Beauftragte nicht auch der Gefahr unterliegen dem vorgenannten Verhalten nur Vorschub zu leisten.
Dies ist aber nur ein Aspekt dieser Affäre. Der andere ist, dass die Staatsanwaltschaft Anfang November die Anklagepunkte gegen den früheren Geschäftsführer des Klinikums auf den Tisch gelegt hat.
Es ist bestürzend, was dabei herausgekommen ist. Ich habe volles Vertrauen in die Justiz, und bis zu einer Verurteilung gilt für jeden Angeklagten die Unschuldsvermutung.
Dennoch ist schon längst nicht nur ein gewaltiger Schaden für das Klinikum entstanden, sondern für die ganze Stadt. Das Image ist in diesem Punkt ramponiert.
Und auch in diesem Fall sollten wir uns selbstkritisch fragen, wie es so weit kommen konnte. Klar ist: Wir, die wir in den jeweiligen Aufsichtsgremien sitzen, müssen noch skeptischer und aufmerksamer werden und dürfen nicht blauäugig absegnen, was uns die Geschäftsführungen vorlegen. Was nützen die besten Compliance-Regeln ohne unsere Vorsicht und Aufmerksamkeit!
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich zum letzten Thema kommen, in Ingolstadt und der Region 10, als Zentrum für Mobilität.
Die deutsche Automobilbranche war sehr selbstzufrieden. Gerade der VW-Konzern hat schwere Fehler gemacht. Der kalifornische Autobauer Tesla hingegen agiert mit Mut, wenn auch der wirtschaftliche Erfolg bisher ausgeblieben ist.
Ich zitiere sinngemäß Volkswagen-Chef Matthias Müller, der zur Branchenkonferenz „Handelsblatt Auto-Gipfel“ gesagt hat: „Die deutsche Automobilindustrie ist im Wettbewerb um die Mobilität der Zukunft im Vorteil gegenüber vielen Konkurrenten. Der Durchbruch neuer Technologien - wie zum Beispiel dem Elektroauto - kommt nicht mit den Ankündigungsweltmeistern. Er kommt mit denen, die eine neue Technologie in die Großserienfertigung und auf die Straße bringen könnten. Zukunft wird nicht nur im Silicon Valley gemacht, sondern auch in Sindelfingen, Wolfsburg, Ingolstadt, Zuffenhausen und München.“
Bernd Heimerl kommentierte im DK vom 16. November in einem anderen Zusammenhang: „Wir leben in einer Wirtschaftsregion, deren Prosperität nur in die Zukunft gerettet werden kann, wenn das gesamte gesellschaftliche Umfeld weltoffen und fortschrittsorientiert bleibt.“
Anfang 2015 äußerte ich mich in einem Zeitungsbeitrag wie folgt, und dies gilt auch heute noch: Zitat: „Es irrt der, der für Ingolstadt das Ende des Wachstums schon sieht. Wir müssen unsere Planungen dahingehend nachsteuern, und zwar in allen Bereichen, vom Bauland bis zur Kindertagesstätte, weitsichtig planen, nicht ängstlich, orientiert am aktuellen Bedarf.“ Und ich ergänze, das gilt vor allem auch für Schulen und das gesamte Thema Verkehr.
Und ich wiederhole: Ohne eine 4. Donauquerung werden wir die Probleme des innerstädtischen Verkehrs - der auch zu großen Teilen von Einpendlern generiert wird - und die Probleme der Baulandknappheit nicht in den Griff bekommen.
Dabei ist nicht nur der Verkehr allein das Thema. Ingolstadt steht vielmehr vor dem Problem, sich ohne diese Querung nicht vernünftig weiter entwickeln zu können. Wir bekommen bereits jetzt knappes Bauerwartungsland nur noch zu hohen Preisen. Das heißt, wir müssen unseren Planungshorizont teuer erkaufen.
Dem geplanten Nationalpark „Donauauen“ werden wir daher nur zustimmen, wenn die Realisierungsmöglichkeit einer 4. Donauquerung ausreichend gesichert ist. Es versteht sich von selbst, dass auch die Belange der Land- und Forstwirtschaft sowie der Jägerei und Fischerei vernünftig gewürdigt werden.
Wir wissen nicht genau, wie die Zukunft des Verkehrs aussieht und in welchen Zeiträumen sich die Veränderungen abspielen werden:
- weg von den Verbrennungsmotoren herkömmlicher Kraftstoffe, hin zu elektrischen Antrieben,
- hin zu autonom fahrenden Fahrzeugen,
- sich dadurch verändernder ÖPNV,
- mehr Bedeutung für das Fahrrad als Verkehrsmittel.
Aber die Zukunft des Verkehrs wird auf der Straße stattfinden und nicht am Stahlseil einer Seilbahn.
Und damit schließt sich der Kreis mit dem, was ich eingangs gesagt habe. Wir müssen auch und gerade im kommunalen Bereich die schon so oft erwähnten Sorgen und Ängste der Menschen aufnehmen. Dabei müssen wir aber aufpassen, nicht jede Nörgelei für des Volkes Stimme zu halten.
Reimund Herbst hat es in einem Kommentar so formuliert – (ich zitiere den DK vom 21. November): „Die freiheitliche Demokratie genießt derzeit nicht das höchste Ansehen. In Zeiten, in denen jeder bequem seinen Frust im Netz abladen kann – und dort ganz sicher auf ähnlich Frustrierte trifft, die ihn in seiner dumpfen Abneigung bestätigen – wird die Mitmachdemokratie schnell zur Nörgel-, Jammer- und Lästerdemokratie.“
Wir müssen Entscheidungen treffen statt ewig zu diskutieren. Wir müssen uns alle gemeinsam in diesem Stadtrat überlegen, wo es Versäumnisse gibt, wo wir nach- oder umsteuern müssen.
Und dazu brauchen wir mehr und bessere Kooperation mit den Nachbargemeinden und Landkreisen.
Wir werden und können als Freie Wähler dazu unseren Beitrag leisten. Denn im Gegensatz zu manchen anderen Gruppierungen hier im Stadtrat schweben wir als Freie Wähler nicht im luftleeren Raum, sondern sind vernetzt in der Region und in ganz Bayern. Wir stellen im Freistaat unzählige Gemeinde-, Kreis- und Stadträte, Bürgermeister und Landräte und außerdem eine respektable Fraktion im Bayerischen Landtag. Und nicht zu vergessen: Die Freien Wähler gehören, früher als UW jetzt als FW, seit 1948 ununterbrochen dem Ingolstädter Stadtrat an, also fast 70 Jahre lang. Das sollen andere Wählergruppen uns erst einmal nachmachen.
Ich wünsche uns allen frohe Weihnachten, ein gutes Jahr 2018, und der politischen Konkurrenz wieder ein besseres als das letzte Jahr.“