Rede zum städtischen Haushalt 2018 der ÖDP-Stadtratsgruppe, vorgetragen durch Stadtrat Thomas Thöne.
(ir) Nachfolgend veröffentlichen wir die Haushaltsrede von ÖDP-Stadtrat Thomas Thöne.
„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates,
sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,
im Hinblick auf den Haushalt 2018 lässt sich feststellen, dass selbst vorsichtige Schätzungen eine stabile Finanzlage voraussagen. Erinnern wir uns ein Jahr zurück, da war nicht nur in der Lokalzeitung ein dezenter Hinweis auf den Bankrott der Automobilstadt Detroit in den USA zu lesen, nein auch so manches Mitglied dieses Stadtrates sprach darüber. So überzogen die Herstellung dieses Zusammenhangs im vergangenen Jahr war, so überzogen sind aus unserer Sicht die derzeitigen Jubelschreie, was die angeblich so positive Zukunft der deutschen Automobilindustrie angeht. Dies auch hier am Standort Ingolstadt. Um nicht falsch verstanden zu werden, auch wir wünschen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, nicht nur bei dem größten Arbeitgeber in Ingolstadt, weiterhin sichere, zukunftsfähige und gut bezahlte Arbeitsverhältnisse. Doch so schnell sich die Lage wieder ins Positive wandelte, genauso schnell könnte es in unseren kurzlebigen Zeiten auch wieder ungemütlicher werden. Denken wir nur mal an den hohen Exportanteil unserer Automobilindustrie. Dieser betrug 2016 stolze 77%. Sollte es hier zu Absatzeinbrüchen kommen, wird es uns hier in Ingolstadt, angesichts unserer Monostruktur, die Herr Professor Dr. Greca in seinem sogenannten „Inselgutachten“ bereits im Jahr 1992 deutlich herausgearbeitet hat, nicht nur mit einer massiv reduzierten Gewerbesteuer, besonders treffen. Insofern stellt eine solide Haushaltsführung für uns einen hohen Wert dar.
Mit Sorge erfüllt uns, was wir der Berichterstattung der Lokalzeitung am vergangenen Wochenende entnehmen mussten, dass unser Klinikum im Jahr 2017 mit einem Defizit von 3 Millionen Euro rechnet. Sehr verwunderlich ist für uns als gewählte Stadträte, dass wir dies aus der Zeitung entnehmen müssen und nicht auf offiziellem Weg durch die Stadtspitze darüber informiert werden.
Dass solche Nachrichten Beschäftigte des Unternehmens verunsichern, liegt auf der Hand. Um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Klinikums Sicherheit für die kommenden Jahre zu geben, schlagen wir vor, mit diesen eine Beschäftigungsgarantie zu vereinbaren. Weiter halten wir ein deutliches öffentliches Signal der Stadtspitze für erforderlich, dass das Juwel „Ingolstädter Klinikum“ auch weiterhin in kommunaler Hand bleibt und ein Verkauf ausgeschlossen ist. Da wir in den Gremien der Klinikum Ingolstadt GmbH nicht vertreten sind, möchten wir an dieser Stelle deutlich machen, dass wir nicht damit einverstanden sind, dass Teile der Belegschaft nicht mehr im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes abgesichert sind, sondern hier wesentlich schlechtere Konditionen vorfinden. Dies wird in der jetzigen Arbeitsmarktlage nicht nur dazu führen, dass die Personalgewinnung schwieriger wird und die Fluktuation höher. Es wird langfristig dazu führen, dass wegen der niedrigen Löhne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Klinikums von Altersarmut betroffen sein werden. Dies aufgrund, aus unserer Sicht, falscher politischer Entscheidungen in den Aufsichtsgremien. Es passt aus unserer Sicht überhaupt nicht zusammen, dass dem aktuellen Beteiligungsbericht zu entnehmen ist, dass in dieser GmbH 2,4 Millionen € für Abfindungen und Rechtsstreitigkeiten ausgewiesen werden und gleichzeitig Mitarbeitende in dieser GmbH im Niedriglohnsektor beschäftigt werden.
Die Schaffung unserer GmbHs in den Beteiligungsunternehmen sehen wir als ÖDP mittlerweile äußerst kritisch, da sich uns die Frage stellt, ob wir wirklich jedes Steuerschlupfloch ausnutzen müssen.
Es sind Zustände, die leicht an die Paradise Papers erinnern. Hier noch eine Gesellschaft und dort noch eine - alles legal, aber deshalb nicht unbedingt richtig. Wer spart hier auf wessen Kosten? Die Stadt gewinnt, der Staat verliert. Als Stadträte haben wir uns mit den GmbH-Gründungen politisch selbst „kastriert“, da wir als Gesamtstadtrat keinen Einfluss mehr haben und wir als Einzelstadträte Informationen nur noch erhalten, wenn wir im jeweiligen Gremium sitzen. Ansonsten ist man als Stadtrat auf die Medienberichterstattung angewiesen. Das muss sich ändern! Das Ganze muss man auch aus Sicht der Beschäftigten sehen. Wer hat welchen Arbeitsvertrag, welches Gehalt und ist wie abgesichert? Teilweise gilt der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes nicht mehr und Beschäftigte sind nicht mehr bei einem öffentlichen Arbeitgeber angestellt. Wir schaffen hier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erster und zweiter Klasse. Als Stadtrat haben wir eine Verantwortung als Arbeitgeber und unser Ziel sollte nicht niedrigstes Lohnniveau und Steuervermeidung sein. Nach dem derzeitigen Stand wird die ÖDP keine weiteren GmbH-Gründungen mehr mittragen.
Beim Haushalt 2018 erscheint uns auf der städtischen Einnahmenseite der Anstieg der Einkommensteuer in 2018 um 6,8% recht mutig und berücksichtigt wohl schon kommende Lohnzuwächse.
Für die Folgejahre bis 2021 sind Zuwächse von jeweils über 5% eingeplant. Dies ist sehr gewagt.
Bei der Gewerbesteuer mögen die 117 Mio. für 2018 aus heutiger Sicht realistisch sein, für die kommenden Jahre ist Vorsicht angebracht, da sich die Automobilindustrie derzeit förmlich neu erfindet und vor ganz massiven Umstrukturierungen und Investitionen in die eigene Zukunft steht.
Damit zu ein paar Anmerkungen aus unserer Sicht zur Situation der Stadt heute und zu unserer Zukunftsperspektive.
So gut die Stadt dasteht, wenn man das mit Blick auf heute und den Rest der Wahlperiode betrachtet, also das, was so gerne verschleiernd als „Auf Sicht fahren“ genannt wird, so besorgniserregend fantasielos agiert die bestimmende Mehrheit, was die nur unwesentlich weitere Zukunft betrifft. Während andere Städte beherzt daran gehen, die Weichen für eine postfossile Zukunft zu stellen, ist Ingolstadt von linearem Denken geprägt, der direkten Verlängerung der erfolgreichen Vergangenheit, die durch Dynamik-Rankings, Wachstum und Zuzug bestätigt scheint. Doch dieses Wachstum ist längst in wesentlichen Teilen zerstörerisch, von der überhitzten Immobilienkonjunktur profitiert nur die verschwindend geringe Anzahl der Eigentümer von vermieteten Immobilien, seien es renovierte Studentenwohnungen oder „normale“ Wohnungen, die zu Preisen vermietet werden, die in Bayern nur noch von München übertroffen werden. Wer nicht das Glück hat, eine ererbte oder vor Jahren gekaufte Wohnung sein Eigen zu nennen, ächzt unter finanziellen Belastungen. Auch hat nicht jeder in dieser Stadt das Glück, beim größten Arbeitgeber beschäftigt zu sein, dessen Mitarbeiter faire Tariflöhne und in der Vergangenheit auch noch üppige Bonuszahlungen erhalten haben. Handwerker klagen seit Jahren darüber, dass sie die größten Schwierigkeiten haben, ihre ausgebildeten Mitarbeiter zu halten und diese davon zu überzeugen, dem Lockruf des Premium-Herstellers zu widerstehen.
Es wird nicht verwunderlich sein, dass gerade wir als ÖDP beim Haushalt 2018 den Blick auf die ökologischen Aspekte schärfen wollen.
Bei der Klimakonferenz von Paris wurden wichtige und richtige Ziele vereinbart.
Dafür müssen die Weichen jetzt gestellt werden. Nicht irgendwann. Wir müssen endlich begreifen, dass wir vor radikalen Veränderungen stehen.
Diese unbequeme Wahrheit scheint hier vor Ort verdrängt zu werden.
Lassen Sie mich deshalb aus der viel beachteten Abschiedsrede des amerikanischen Präsidenten Barack Obama zitieren, die er am 10. Januar 2017 in Chicago gehalten hat. Ich zitiere: „Aber wenn wir nicht mutiger handeln, werden unsere Kinder nicht mehr die Zeit haben, über die Existenz des Klimawandels zu diskutieren. Sie werden damit beschäftigt sein, seine Auswirkungen zu bekämpfen: mehr Umweltkatastrophen, mehr wirtschaftliche Verwerfungen, Wellen von Klimaflüchtlingen, die Zuflucht suchen.“ Zitatende.
Wenn allerdings selbst ein vergleichsweise kleines Projekt wie ein Bahnhalt bei Audi Jahrzehnte von der Idee zur Realisierung benötigt, wie lange wollen wir damit warten, die Mammutaufgabe einer Transformation zu einer postfossilen, nachhaltigen und lebenswerten Stadt zu stemmen?
Unser Resümee zum Haushalt: Das Zahlenwerk ist uns, auf der Einnahmenseite, in machen Positionen zu erwartungsvoll aufgestellt.
Auf der Ausgabenseite, besonders in ökologischer Hinsicht, würden wir Schwerpunkte, ich denke da zum Beispiel an einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr, völlig anders setzen.
In Abwägung aller Argumente können wir dem Haushalt gerade noch zustimmen.
Für den nächsten Haushalt erwarten wir uns deutliche ökologische Schwerpunkte.
Sehr geehrte Damen und Herren, die ÖDP-Stadtratsgruppe wünscht allerseits eine ruhige, besinnliche Weihnachtszeit und alles Gute für das Jahr 2018.“
Da die Redezeit zu Punkt 3 der Stadtratssitzung am 05.12.2017 beschränkt ist, gebe ich neben meiner Haushaltsrede die nachfolgenden schriftlichen Ausführungen zu Protokoll:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Mitglieder des Stadtrates,
bei den Haushaltsreden der letzten Jahre hatten wir ÖDPler den Eindruck, dass es vielen Vortragenden vordringlich darum ging, öffentlich kräftig Watschen auszuteilen. Wir erinnern uns an die apokalyptischen Reiter, die durch den Sitzungssaal geritten sind oder an die Vorwürfe, in diesem Gremium würden Brunnenvergifter sitzen. Ein Miteinander in diesem Stadtrat muss man suchen, gegenseitiges Vertrauen scheint völlig abhandengekommen zu sein. Dabei stellt die bayerische Gemeindeordnung das Kollegialorgan Stadtrat in den Vordergrund.
Spätestens angesichts der Wahlergebnisse einer Partei, mit ausgeprägten rechtsradikalen Tendenzen, sollten wir unser gegenseitiges Verhalten dringend kritisch hinterfragen, überprüfen und ändern. Suchet der Stadt Bestes sollte unsere Handlungsmaxime sein, geleitet von einer Grundannahme, dass Jeder in diesem Stadtrat dies mit seinen Ideen, Vorstellungen und Anträgen beabsichtigt. Lassen Sie uns dabei intensiv, mit unterschiedlichen Positionen, lebhaft diskutieren und debattieren. Dies allerdings im gegenseitigen Respekt, ohne persönliche Verletzungen, nach dem Motto: „Jeder Mensch hat einen unverfügbaren Wert - handle danach“. Dies sollte auch bedacht werden, wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Stadt durch Mitglieder dieses Gremiums öffentlich über die Zeitung kritisiert werden. Hier sollten wir uns vor Augen führen, dass wir auch Arbeitgebervertreter gegenüber diesen Beschäftigten sind. Hier haben wir eine Fürsorgepflicht.
Zu Recht hat Norbert Lammert in seiner Abschiedsrede als Bundestagspräsident darauf hingewiesen, „dass eine vitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass auf dem Weg bis zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte wahrnehmen können“. Dies gilt auch für uns hier im Stadtrat. Umso unverständlicher sind für mich, in diesem Gremium, zunehmende Anträge auf Schluss der Rednerliste oder der Debatte. Als Demokraten sollen, ja müssen wir es aushalten, auch einmal Beiträge zu hören oder zu ertragen, selbst wenn diese uns nerven und bereits alles gesagt ist, auch von jedem. Menschen in anderen Ländern beneiden uns für dieses demokratische Privileg. Derzeitigen Überlegungen, sogar Redezeitbegrenzungen bei Wortmeldungen einzuführen, ist deshalb eine klare und deutliche Absage zu erteilen.
Zur Normalität in einem Stadtrat gehört es jedoch, wenn Mitglieder dieses Gremiums mit Anfragen ihren Aufgaben und Pflichten aus der Gemeindeordnung nachkommen. Dies auch nach dem Motto: „Macht braucht Kontrolle“. Sich hierüber zu mokieren, wie es schon geschehen ist, zeugt für mich von mangelndem Demokratieverständnis. So manche Anfrage wäre vermeidbar, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Lösel, würden Sie alle Stadträtinnen und Stadträte gleichmäßig und frühzeitig informieren und einbinden. Vielleicht wäre dies eine vertrauensbildende Maßnahme Ihrerseits, Richtung dem gesamten Stadtrat. Sie haben es insbesondere in der Hand zur Verbesserung des Klimas im Stadtrat beizutragen. Gehen Sie auf die Mitglieder des Stadtrates zu, die nicht der sogenannten „Koalition“ angehören. Binden sie alle Stadträtinnen und Stadträte ein.
Eine Möglichkeit wären regelmäßige Sitzungen mit Stadtratsvertretern nach der wöchentlichen Referentenbesprechung. Allparteilichkeit und Neutralität von Ihnen, Herr Oberbürgermeister, ohne Bevorzugung einzelner Personen und Fraktionen dieses Ingolstädter Stadtrates können mit dazu beitragen, das Klima in diesem Stadtrat nachhaltig zu verbessern. Ich persönlich empfehle Ihnen auch, sich einen neuen Koalitionspartner zu suchen. Gehen Sie eine Koalition mit allen hier anwesenden Stadträtinnen und Stadträten ein, eine Koalition der Vernunft. Dann haben Sie auch für den Rest dieser Amtsperiode immer eine stabile Mehrheit.
Wir alle in diesem Gremium sollten uns bewusst sein, wie es ein deutscher Friedensnobelpreisträger einmal formulierte: „Wir sind nicht die Erwählten, sondern wir sind die Gewählten“. Weiter sagte dieser: „Deshalb suchen wir das Gespräch mit allen, die sich um diese Demokratie bemühen“.